Todeshaus am Deich
heftig ihren Kopf, dass dabei das
Doppelkinn hin und her pendelte. »Nee. Nie nich. War einfach weg. Wie vom
Erdboden. Ab durch die Mitte. Ich sagte ja zu Frau Meyer, die wohnt da drüben,
gleich links, also ich sagte zu …«
Nur mit Mühe konnte Mommsen den Redefluss der
leutseligen Frau stoppen, die ihm mit Sicherheit viel Interessantes und
Pikantes aus ihrem Stadtviertel hätte berichten können. Doch außer dem, was
»man so von Hörn un Sagen mitgekriegt hat«, wusste sie nichts zum Verbleib
Althoffs beizusteuern.
Mommsen fuhr als Nächstes zu der Wohnung, in der der
junge Mann zuletzt gewohnt hatte.
»Hören Sie mir bloß mit dem auf«, schimpfte der
Hausbesitzer, ein Pensionär. »So kann man sich täuschen. Der machte ‘nen guten
Eindruck auf mich, als er hier einzog. Und dann hat er nicht einmal die Miete
bezahlt. Ganz zu schweigen davon, dass er die Wohnung wie ‘nen Müllplatz
hinterlassen hat. Als er verschwunden war und ich mit meiner Frau rein bin in
die Räume, hab ich fast ‘nen Herzinfarkt gekriegt. Überall nur Dreck. Der hat
nie was in Ascheimer geworfen. Den ganzen Schiet hat er inne Wohnung gestapelt.
Ich kann Ihnen sagen, das hat vielleicht gestunken. Ham Sie ‘ne Ahnung, was
mich das gekostet hat? Den ganzen Mist wieder auf Vordermann zu bringen? Wer
bezahlt mir das?«
»Ich verstehe Ihren Ärger. Deshalb interessieren wir
uns auch für Herrn Althoff«, versuchte Mommsen die Erregung des Mannes zu
dämpfen.
»Wird auch Zeit, dass sich die Polizei dahinterklemmt.
Was für Verbrecher hier in unser’n Land frei rumlaufen. Das glaubst du nich.«
»Können Sie mir etwas über Althoffs Umgang sagen?
Familie? Freunde? Hobbys?«
»Nee. Sie müssen nun nich glaub’n, dass ich neugierig
bin. Ich spionier doch nich hinter meine Mieter hinterher«, empörte sich der
Mann. »Da hab ich keine Ahnung von. Aber dafür sind Sie ja da, junger Mann.«
Mommsen kehrte zur Dienststelle zurück, stellte sein
Fahrzeug dort ab und machte sich zu Fuß auf den Weg in die Stadt. Als Erstes
steuerte er den Tinebrunnen mitten auf dem Marktplatz an. Dort waren
gelegentlich junge Leute zu treffen. Doch heute hatte er Pech. Heute hatte sich
niemand auf dem Platz bei der Bronzestatue eingefunden.
Langsam bummelte Mommsen die Großstraße bis zum
Palmengarten hinunter. Er machte auch Abstecher zu Karstadt und in das von den
Einheimischen ebenso wie von den Besuchern geschätzte Traditionskaufhaus C.J. Schmidt, dessen Restaurant in der
obersten Etage ein beliebter Treffpunkt war.
Weder in der »Neustadt« noch auf dem Weg durch die
Hohle Gasse begegnete er einem jungen Mann, der Ähnlichkeit mit Althoff
aufwies. Die Hafenstraße war um diese Jahreszeit noch ruhig. Viele der
Tagesbesucher anlockenden Lokale waren geschlossen. Auch von dem Gesuchten war
nichts zu sehen, obwohl Mommsen die am Binnenhafen entlangführende Straße bis
zum kleinen Platz ging, der das Ende der Touristenmeile markierte. Sein Rückweg
führte ihn über die Schiffbrücke und durch die lebhafte Krämerstraße zum
Marktplatz. Entmutigt kehrte er von dort zur Dienststelle zurück. Er war sich bewusst,
dass nur ein großer Zufall zu einem erfolgreichen Abschluss seiner Aktion
geführt hätte, aber er wollte nichts unversucht lassen, um dem kleinen Lukas in
Münster zu helfen.
*
Durch die Glaswand am Ende des Ganges fiel helles
Licht herein. An den Wänden aus rotem Backstein hingen bunte Grafiken.
»Das freundliche Ambiente passt eigentlich nicht zur
düsteren Stimmung, die der Heimleiter verbreitet«, sagte Christoph. Sie wichen
auf dem Weg zurück in die Eingangshalle einer älteren Frau aus, die ihnen auf
dem Flur entgegenkam. Langsam schlurfte die Weißhaarige ihrer Gehhilfe
hinterher.
Die beiden Beamten grüßten freundlich.
»Haben Sie Gerd gesehen?«, fragte die Frau.
»Gerd? Wer ist Gerd?«, antwortete Große Jäger mit
einer Gegenfrage.
»Na, Gerd. Der Hausmeister. Der wollte doch meinen
Fernseher wieder richtig machen. Ich kann doch so nichts sehen.«
»Nein, Gerd ist uns nicht begegnet. Aber wenn wir ihn
treffen, richten wir es ihm aus. Wie heißen Sie denn?«
»Ich bin die Frau Beckerling«, antwortete die alte
Dame. »Aber vergessen Sie es bitte nicht.« Dann drehte sie sich um und
schlurfte weiter.
Die beiden Beamten waren nur ein paar Schritte
gegangen, als sie hinter sich den wütenden Aufschrei einer Männerstimme hörten.
»Alte Ziege, kannst du nicht aufpassen? Dauernd fährt
einem dieses Weib mit ihrer Kiste in
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