Todeshunger
die Zähne und Klauen in ihre Haut, zerfetzt ihr Fleisch. Sie ist nur noch einen Meter entfernt und wehrt sich immer noch gegen uns, aber gegen unsere vereinten Kräfte kommt sie nicht an. Julia geht um mich herum, packt Ellis an der Taille und hebt sie vom Boden hoch. Ellis lässt ein kleines unverändertes Kind vor dem tödlichen Biss los und windet sich in Julias Griff. Ich zwänge mich zwischen sie und nehme ihr meine Tochter ab, doch Ellis stößt mir unabsichtlich den Ellbogen ins Gesicht und trifft mich mit dem Knochen genau zwischen den Augen. Blut fließt aus meiner Nase.
Julia stolpert weg und bemüht sich, Ellis zu halten, während sie gleichzeitig versucht, deren konstante Hiebe
und Tritte abzuwehren. Mein Mädchen ist wie ein besessenes Kind und kämpft mit einer Wildheit und Brutalität, die nicht zu ihrem Alter passt. Einige Sekunden, in denen mir fast das Herz stehen bleibt, verschwinden sie wieder in der Menge, bis ich, als ich Blut der gebrochenen Nase ausspucke, das Ende der Wäscheleine am Boden sehe. Ich lasse mich fallen, ergreife sie und ziehe Ellis wieder zu mir. Ich stelle fest, dass sie auf Julia sitzt, die Daumen tief in deren blutige Augenhöhlen drückt und immer wieder ihren Kopf hebt und auf den Asphalt schlägt. Julia rudert kraftlos mit den Armen. Ellis drückt erneut zu, und plötzlich bleibt Julia reglos liegen. Sie hebt Julias Kopf, schlägt ihn noch einmal auf den Boden, blickt auf und springt davon. Die Wäscheleine wird mir so heftig aus der Hand gerissen, dass die Haut aufreißt.
»Ellis!«
Sie springt eine unveränderte Frau an, die ihr entgegenkommt. Die überraschte Frau wird zu Boden geworfen, da sie nicht mit einem derart brutalen Angriff gerechnet hat. Ellis tötet sie, steht auf und bringt einen Mann zu Fall, dann noch einen, und ich beobachte alles gebannt, bis ein unveränderter Mann mich von der Seite rammt. Ich packe ihn am Kragen, wirble ihn herum und trete ihm mit dem Stiefel ins Gesicht. Das Hochgefühl ist unglaublich. Plötzlich zählt nichts anderes mehr, da ich Ellis endlich bei mir habe. Ein weiterer geht mit einem Messer auf mich los. Ich ergreife seine Hand, drehe sie so brutal um, dass ich den Ellbogen brechen höre, und stoße ihm seine eigene Klinge in die Brust. Ich ziehe die blutige Waffe heraus, packe ohne nachzudenken den Nächstbesten am Kopfhaar, ziehe das Messer blitzschnell über den entblößten Hals und spüre, wie sie das Fleisch mühelos
durchschneidet. Neben mir wirft sich Ellis auf ein Kind, das kaum älter ist als sie. Das Kind wehrt sich und kann beinahe entkommen, doch dann drängt Ellis es zum Straßenrand ab und rammt seinen Kopf durch ein niedriges Fenster.
Und das, wird mir klar, während ich wieder und wieder ohne Widerstand töte, habe ich mir immer gewünscht. Ich kämpfe ungehindert, ohne Zurückhaltung oder Angst. Und Ellis ist bei mir und macht dasselbe. Aber sie ist nicht da. Ich habe sie wieder aus den Augen verloren. Ich rufe ihren Namen, doch das Chaos um mich herum ist überwältigend. Der Hubschrauber kreist erneut über uns, die panische Menge reißt mich einfach mit sich. Ich versuche, mir eine Schneise freizuhacken, aber es ist, als würde ich gegen die stärkste erdenkliche Strömung schwimmen. Durch eine Lücke sehe ich Ellis davonlaufen; sie rennt diagonal über die Straße, springt von Körper zu Körper, von Opfer zu Opfer, und schafft es so durch die Menge. Sie springt einem ahnungslosen Mann auf den Rücken, bricht ihm das Genick und landet auf dem nächsten Opfer, noch ehe das vorherige zu Boden gefallen ist. Und dann ist sie wieder weg. In dem Wahnsinn verschwunden.
Was ist aus ihr geworden? Sie ist ein wildes, zügelloses Monster; eine Million Meilen von der Ellis entfernt, die ich kannte, aber dennoch ist sie meine Tochter. Es ist herzzerreißend traurig, sie so zu sehen, aber gleichzeitig ist ein Teil von mir unglaublich stolz auf sie, als ich Zeuge werde, wie tapfer und furchtlos sie kämpft.
Ich muss zu ihr.
Ich bemühe mich, weiter voranzukommen. Mittlerweile keuche ich vor Anstrengung; meine Beine sind schwer, ich kann mich kaum noch bewegen, und dennoch schlägt
mir eine endlose Woge von Flüchtlingen entgegen. Ich versuche, mir einen Weg zwischen ihnen hindurchzubahnen, doch für jeden Schritt vorwärts werde ich mehrere zurückgerissen. Ich muss in Bewegung bleiben. Kann jetzt nicht aufgeben …
Das Heulen einer weiteren Rakete. Sie schlägt keine hundert Meter entfernt in ein Gebäude ein,
Weitere Kostenlose Bücher