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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Brille und Ausgehanzug — herumgeschubst und verspottet. Jemand entriss ihm seinen Spazierstock und warf ihn so heftig in ein Ladenfenster, dass die Scheibe zerbrach.
    »Sehr festlich«, knurrte Younger.
    Gruber hüpfte aus dem Wagen und steuerte auf die Menge zu. Einen nach dem anderen zog er die Gaffer beiseite, um ins Innere des Kreises zu dem Geschmähten in Abendgarderobe vorzudringen.
    »Jude?«, fragte Gruber.
    Der verängstigte Mann antwortete nicht. Die Umstehenden schienen Gruber mit der gleichen Feindseligkeit zu beäugen wie den Herrn.
    »Jude?« Gruber klang nicht böse, mehr, als käme es ihm auf eine wichtige Auskunft an.
    Der Herr mit Brille hatte das deutsche Wort offenbar verstanden und nickte kaum merklich, vielleicht in der Hoffnung auf Hilfe durch den Ausländer. Doch das Geständnis kam ihn teuer zu stehen. Im nächsten Moment nahm Gruber ihm die Brille ab, ließ sie auf den Boden fallen und zertrat sie mit dem Schuh. Die Menge brach in Beifallsrufe aus. Der Herr wollte zurückweichen, doch Gruber packte ihn am Kragen und versetzte ihm einen Fausthieb ins Gesicht, der ihn nach hinten durch die zerbrochene Fensterscheibe schleuderte. Die Schaulustigen johlten noch lauter. Nachdem er sich die Hände abgewischt hatte, bahnte sich Hans einen Weg durch den Kreis und kehrte zurück zum Wagen.
    Younger überlegte, ob er dem Überfallenen zu Hilfe eilen sollte, aber Gruber stieg bereits wieder in sein Automobil. Colette hatte wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, was er gerade getan hatte. Younger sah, wie Gruber auf dem Rücksitz wieder den Arm um sie schlang. Der Wagen setzte sich in Bewegung und fuhr davon. Younger überließ den Gestürzten seinem Schicksal.
    Langsam rollte Grubers Automobil auf dem Boulevard dahin. Younger folgte ihm in sicherer Entfernung. Nach mehreren Straßenzügen erreichten sie einen alten Platz, in dessen Mitte ein Feuer brannte. Darum herum klatschten und sangen Menschen. Andere traten mit schweren Folianten beladen aus einem alten, stattlichen Gebäude auf der anderen Seite des Platzes. Als sie das Feuer erreichten, warfen sie die Bücher hinein.
    »Es geht doch nichts über ein gutes, altes Pogrom«, murmelte Younger.
    Grubers Wagen passierte die Feiernden und hielt einen knappen Kilometer weiter vor dem Tor eines kleinen Parks mit grünem Gras. Younger bremste einen Block dahinter. Schmiedeeiserne Laternenpfähle und verstreute Bäume, deren rostbraune Blätter silbern im Mondlicht schimmerten, prägten das Bild des Parks. Gruber und Colette stiegen aus. Seine lärmend zechenden Freunde blieben im Wagen.
    »Warte hier«, sagte Younger zu Luc.
    Younger schlüpfte durch die Dunkelheit zur Begrenzung des Parks, wo er auf einen hohen eisernen Gitterzaun stieß. Durch die Stäbe bemerkte er Colette und Gruber, die Arm in Arm einen Weg entlangschlenderten. Younger schlich am Zaun entlang und beobachtete, wie sie weiter in die Mitte des Parks vordrangen. Gruber sprach schnell auf Colette ein,
und sie lachte kokett, obwohl sich Younger sicher war, dass sie kaum ein Wort von seinem Deutsch verstand. Angewidert musste er mit ansehen, wie Gruber Colette ab und zu herumwirbelte, als würden sie noch im Biergarten tanzen.
    Unter dem weichen Licht einer Gaslaterne blieben sie stehen. Gruber zog ihr den Mantel aus und ließ ihn auf den Boden gleiten. Er drehte Colette um, so dass er ihren Rücken vor sich hatte. Dann legte er ihr die Hände auf den Bauch und schien an ihrem Ohr zu knabbern. Younger erinnerte sich an einen Abend, an dem er etwas ganz Ähnliches versucht hatte. Doch ihm hatte Colette nicht so viel Entgegenkommen bewiesen. Grob drehte Gruber sie wieder herum und strich ihr mit dem Daumen über den Mund. Colettes Handtasche fiel ins Gras. Gruber zog sie an sich, um sie zu küssen – doch dann taumelte er plötzlich mit erhobenen Händen zurück.
    Colette umklammerte eine kleine Pistole. Kein Knall hatte die Luft zerrissen, sie hatte nicht auf ihn geschossen. Aber sie zielte mit beiden Händen direkt auf sein Herz. Sie sagte etwas zu ihm, auf Deutsch. Aus ihrem Tonfall schloss Younger, dass sie etwas Auswendiggelerntes zitierte. Doch ihre Worte waren so leise, dass Younger nichts verstand. Flehend sank Gruber auf die Knie. Colette atmete schwer, ihre Schultern wogten auf und ab. Dann wurde sie still und zielte aus kurzem Abstand zwischen Grubers Augen.
    Doch sie zögerte. Volle dreißig Sekunden zögerte sie, während Gruber um sein Leben winselte. Endlich machte sie

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