Todeskind: Thriller (German Edition)
Mutter verzeihen konnte, was nie als Affront gedacht gewesen war.
»Dürfte ich als Außenstehender meine Meinung sagen, Simone?«
Sie hob eine Schulter. »Ein Außenstehender scheinen Sie ja nicht mehr zu sein.«
»Dann werte ich das als ja. Sie sind wütend und Sie haben ein Recht darauf. Aber mir scheint, dass die Person, die Ihren Zorn verdient hat, Beckett ist, nicht Daphne oder Maggie.«
Sie schloss einen Moment lang die Augen. »Ich kann verstehen, warum Daphne mir nichts gesagt hat, aber Maggie war kein eingeschüchtertes kleines Mädchen. Sie hätte es mir mitteilen müssen.«
»Ich weiß nicht so recht. Ich glaube, die Tatsache, dass Daphne eine Person hatte, der sie ihr Leid anvertrauen konnte, ohne befürchten zu müssen, dieser Person etwas damit anzutun … das war sehr bedeutend für ihre Entwicklung. Kinder wissen, wann man ihr Vertrauen missbraucht. Hätte Maggie Ihnen etwas verraten, hätte Daphne sich vielleicht nie wieder geöffnet. Am wenigsten Ihnen. Nicht, weil sie Ihnen nicht vertraute oder Sie nicht genug liebte. Sie hatte Angst, Ihnen mit der Wahrheit weh zu tun. Und dadurch hätte sie sich nur noch weiter in sich zurückgezogen. Vielleicht hätten Sie sie nie zurückbekommen.«
»Ich bin ihre Mutter«, entgegnete Simone trotzig. »Ich muss solche Dinge doch wissen. Ich hätte ihr helfen können.« Tränen traten in ihre Augen. »Glauben Sie etwa, dass ich nichts von ihren Qualen gewusst hätte? Oh, doch. Jeden Tag konnte ich ihre Furcht spüren, aber ich wusste nicht, was ich dagegen unternehmen sollte. Maggie schon. Aber sie hat es mir nicht gesagt. Sie hat mich daran gehindert, mich um mein Kind zu kümmern. Können Sie sich vorstellen, wie sich das anfühlt?«
»Nein, weil ich noch keine Kinder habe. Und ich würde niemals abtun wollen, wie schlimm das für Sie gewesen sein muss. Aber gleichzeitig sollten Sie auch nicht einfach unter den Tisch kehren, wie schlimm es für Maggie gewesen sein mag.«
Simone stieß ein ungehaltenes Schnauben aus, was Joseph dazu veranlasste, die Stirn zu runzeln.
»Simone, denken Sie nach. Maggie muss sehr gut gewusst haben, dass dieser Tag hier kommen würde. Glauben Sie nicht, dass sie sich davor gefürchtet hat? Sie liebt sie beide. Gestern Abend haben Sie von Daphnes Leid erfahren, und es hat Sie fast in Stücke gerissen. Doch das gestern war nur ein Nachhall dessen, wie es damals gewesen sein muss. Wie muss es für Maggie gewesen sein, Daphne zuzuhören und niemanden zu haben, dem sie sich mitteilen konnte? All die Jahre über hat sie diese furchtbare Last getragen. Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass sie es wieder ganz genauso machen würde, obwohl sie weiß, wie wütend sie Sie damit macht. Weil es hier um Daphne geht, nicht um Sie.«
»Sie hätte sich mir mitteilen können. Sie hätte diese Last nicht allein tragen müssen. Sie hatte nicht einmal das Recht dazu«, beharrte Simone.
Er spürte, dass er nicht zu ihr durchdrang, also versuchte er es aus einem anderen Blickwinkel. »Mein Vater hat mir das Autofahren beigebracht.«
Sie blinzelte. »Was?«
»Ja. Als Teenager war ich ein Hitzkopf, der schnell sauer wurde, wenn man mich bevormunden wollte. Ich weiß noch, wie ich an einer Kreuzung stand. Ein anderer Autofahrer nahm mir die Vorfahrt, und ich dachte gar nicht daran, mir das gefallen zu lassen. Ich trat das Gaspedal durch, brauste über die Kreuzung und fand mich in der Notaufnahme wieder. Daddys Wagen hatte einen Totalschaden.«
»Und was wollen Sie mir damit sagen?«
Er lächelte leicht. »Nur Geduld. Mein Vater war nicht gerade glücklich, und ich machte es nicht besser, als ich mich verteidigte: Ich wäre im Recht gewesen, der andere hätte mir die Vorfahrt genommen. Dad wurde ganz still. Nach einer Weile erwiderte er: Ja, ich wäre zwar im Recht gewesen, doch wenn ich tot gewesen wäre, hätte mir das auch nichts genützt. Sie hatten sicher das Recht, davon zu wissen, Simone. Aber was hätte es Ihnen genützt, wenn Sie deswegen umgekommen wären? Und was wäre dann aus Ihrer Tochter geworden?«
Sie sah ihn verunsichert an. »Das verstehe ich nicht.«
»Beckett hat getötet, um sein Geheimnis zu bewahren. Er hat Ihre Nichte ermordet. Gestern hat er fast einen Pfleger umgebracht, nur um an seinen Ausweis zu kommen und sich ins Krankenhaus schleichen zu können. Wir haben den jungen Mann gerade noch rechtzeitig gefunden. Beckett hat versucht, Ihren Enkel mit einem Kissen zu ersticken, bis Daphne über ihn herfiel, und
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