Todesläufer: Thriller (German Edition)
noch dreidimensional darstellen.
»Hat es abgesehen von den Stützpfeilern in jüngster Zeit irgendwelche Arbeiten hier im Bahnhof gegeben?«
»Auf dem Bahnsteig da unten seit 1997 nicht. An anderen Stellen haben die letzten Arbeiten 2005 stattgefunden – aber das waren nur Anstriche, reine Kosmetik … Sie wissen schon, damit das Ganze netter aussieht.«
Sam sah sich die letzte Minute des Normalbetriebs fünf- oder sechsmal nacheinander an. Die durch den monochromen Bildschirm verflachten Gestalten stachen nicht deutlicher aus dem Bild hervor als die Wände, die Pfeiler oder der Boden. Bei den ersten drei oder vier Durchgängen fiel ihm nichts Besonderes auf, doch allmählich schärfte sich sein Blick, und Einzelheiten, die ihm anfänglich entgangen waren, schienen sich unmerklich in seiner Erinnerung zusammenzufügen.
»Augenblick … Können Sie die Aufnahme der Kamera 3 noch mal zehn Sekunden zurückspulen?«
»Da, wo die 6 einfährt?«
»Ja … Sehen Sie den Kerl da?«
»Den Kahlkopf?«
»Hmm … er geht sonderbar.«
»Ja, ein bisschen steif. Vielleicht hinkt er.«
»Nein, das glaub ich nicht … Jetzt mal in normaler Geschwindigkeit.«
Auf dem Bildschirm sah man John steifbeinig über den Bahnsteig gehen. Er schritt etwas langsamer aus als die übrigen Fahrgäste, aber ausgesprochen regelmäßig.
Was in Herrgotts Namen treibt der da?
Sam musste sich die Aufzeichnung noch mehrere Male vorspielen lassen, bis er begriff, was es mit dem sonderbaren Verhalten des Mannes auf sich hatte.
»Man könnte meinen … dass er seine Schritte zählt!«, entfuhr es ihm überrascht.
»Na und? Manche warten jeden Morgen vor demselben Pfeiler, andere setzen sich seit vierzig Jahren auf denselben Klappsitz … Es gibt eine Menge Leute, die einen Tick entwickelt haben, weil sie zweimal am Tag mit der U-Bahn fahren müssen, manche sind geradezu reif für die Klapsmühle. Das beweist noch gar nichts.«
»Das glaube ich Ihnen gern … Aber zeigen Sie mir trotzdem noch mal das allerletzte Bild dieser Kamera da.«
»Da bitte …«
»Und dann die letzten der beiden anderen.«
»Hier …«
»Fällt Ihnen nichts auf?«
»Nein, eigentlich nicht.«
Sam hatte mitunter ein beinahe fotografisches Gedächtnis. Was auf andere wie ein bedeutungsloser Flickenteppich wirken mochte, fügte sich vor seinen Augen unversehens Stück für Stück zu einem Mosaikbild zusammen.
»Da, bei der Kamera, die den ganzen Bahnsteig zeigt, und da … Es ist deutlich zu sehen, dass der Zug, der gerade einfährt, schon ein Stück an ihm vorbeigefahren ist. Sehen Sie den Lichtblitz, der sich in den Fensterscheiben des Waggons spiegelt?«
»Ja, und?«
»Ich verwette meine Monatskarte darauf, dass es bei der Anzahl der Bilder, die jeweils von den drei Kameras in der letzten Sekunde aufgenommen wurden, eine Abweichung gibt. Die beiden anderen haben bestimmt ein paar mehr gemacht als diese hier, bloß eben nicht genug, um auf dem Zählwerk eine vollständige Sekunde anzeigen.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Dass die auf den Bahnsteig der Linie 6 gerichtete Kamera da, wo unser komischer Typ stehen geblieben ist, einen Sekundenbruchteil früher ausgefallen ist als die anderen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass …«
»Dass an der Stelle die Explosion stattgefunden hat.«
Ein kurzer, begeisterter, angesichts der Situation jedoch völlig unpassender Applaus setzte seiner Analyse ein jähes Ende.
»Großartig, Captain! Eine glänzende Schlussfolgerung.«
Zwei Männer in schwarzen Anzügen hatten den Raum betreten. Selbstsicher traten sie vor die Überwachungsbildschirme, als wollten sie die Arbeit am Kontrollpult übernehmen. Die haben mir gerade noch gefehlt! Vor allem der da …!
»Francis Benton.«
Der mittelgroße, dunkelhaarige Mann, der sich so spöttisch geäußert hatte, streckte Sam energisch eine Hand entgegen. Der Blick, den dieser ihm zuwarf, als er sich dem Händedruck verweigerte, schien ihn nicht weiter zu beeindrucken.
»Ich weiß sehr gut, wer Sie …«, setzte Sam an.
» FBI «, fiel ihm der andere ins Wort und verzog das scharfkantige Gesicht zu einer Grimasse, die er für ein Lächeln halten mochte. »Ab sofort, 8 Uhr 57 Ortszeit«, erklärte er mit einem Blick auf seine Uhr, »übernehmen wir die Sache. Sie können verschwinden, sobald Sie verarztet worden sind. Ich habe gerade mit Ihrem Chef Kovic gesprochen, er wartet draußen auf Sie.«
Wenn die Männer in Schwarz aufkreuzten, konnte das nur eins bedeuten. Er
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