Todesläufer: Thriller (German Edition)
zu identifizieren. Doch da es keine Beobachter gab, waren die Vorkehrungen, unerkannt zu bleiben, genau genommen überflüssig.
Sie ging an der Rauchglasscheibe des japanischen Restaurants Zengo , an der ein Metallgitter in Maschrabiyyah-Manier den Einblick zusätzlich verwehrte, vorüber bis zu dessen Eingang. Angesichts der Lage in der Stadt hatte sich die Geschäftsleitung verständlicherweise entschieden, das Lokal geschlossen zu halten.
Ruckartig wandte sie sich um, als fühlte sie sich beobachtet, und warf einen flüchtigen Blick zum höchsten Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite: Es war die Nummer 633, der New Yorker Sitz der Heimatschutzbehörde. Kein Schatten war hinter den Fenstern zu sehen. Niemand schien ihre Anwesenheit bemerkt zu haben.
Neben dem Restaurant führte eine Außentreppe zu einer kleinen Terrasse, auf der sich Angestellte der umliegenden Büros im Sommer zwischen zwei Sushis im Freien sonnten. Ein niedriges, mit einem Vorhängeschloss gesichertes Türchen verwehrte der Form halber den Zutritt. Sie überwand das Hindernis spielend.
Zügig eilte sie die Stufen hinauf und gelangte auf die Terrasse. Sie setzte sich an einen Tisch gleich am Geländer, von wo ihr Blick ungehindert auf die Straße fiel. Auch wenn die Terrasse lediglich auf der Höhe des zweiten Geschosses lag, konnte man von dort das gesamte Viertel überblicken.
Die Frau entnahm ihrer Ledertasche eine sonderbare Schusswaffe – größer als eine Automatik und kleiner als eine Maschinenpistole –, deren Visiereinrichtung der einer Armbrust ähnelte. Mit sicherer Hand schob sie von vorn einen Metallbolzen in den Lauf, dessen dreieckige Spitze länger war als der Schaft. Sie legte einen Sicherungshebel um, spannte die Waffe und stützte sie auf dem Metalltisch auf. Als sie merkte, dass dieser wackelte, kniete sie sich mit ihrer Waffe vor das Geländer und legte ihre Unterarme darauf.
So …
Jetzt musste sie nur noch das richtige Fenster finden. Neunter Stock. Das war es nicht, das auch nicht, und das ebenfalls nicht …
Das da! Das sechste von rechts.
Sie atmete tief ein, hielt die Luft an, schloss kurz die Augen und zog den Abzug in dem Moment durch, als sie sie wieder öffnete. Schnell wie eine Pistolenkugel überquerte das Geschoss die breite Straße mit einem schrillen Zischen.
Ohne sich zu vergewissern, ob sie ihr Ziel getroffen hatte, nahm die Frau ein Netbook aus der Tasche, klappte es auf und sah in der rechten unteren Ecke des Bildschirms undeutlich den Metallrahmen eines Fensters, in den der Pfeil eingedrungen war. Wichtiger aber war ihr der Blick durch die Scheibe, der ihr jetzt möglich war. Er zeigte einen Büroraum, der größer war, als man angesichts der beiden Schreibtische darin vermutet hätte. Der eine war leer, am anderen saß ein hochgewachsener, linkisch wirkender junger Mann, der eine modische Brille trug und auf dessen Kleidung Sushi-Flecken zu erkennen waren.
Sie drückte zwei Tasten gleichzeitig und zoomte sein Gesicht heran.
Das Ausspähsystem war installiert und arbeitete ganz offensichtlich einwandfrei. Damit war ihre Aufgabe erledigt. Sie packte ihr Material ein, ging die Treppe hinab und verschwand zügig in Richtung Süden.
Nach einer Weile nahm sie ihr Telefon zur Hand und sagte etwas in einer fremden Sprache mit einem zugleich kehligen und singenden Klang. Sean Phillips, der Linguist und Fachmann für seltene Sprachen, hätte sicherlich sagen können, um welche Sprache es sich dabei handelte.
13 UHR 00 – NEW YORK – SITZ DES FBI
Sie waren beide verlegen. Ein etwas aufmerksamerer Blick als sonst, ein unbeholfenes Tätscheln der Schulter mit der flachen Hand. Aber kein Gefühlsüberschwang wie bei zwei Überlebenden, die sich über ihr Wiedersehen freuen. Und schon gar nicht wie bei zwei Liebenden. Möglicherweise war das dreiundzwanzigste Stockwerk des Federal Plaza dafür nicht der geeignete Ort. Als sich Liz nach Grace erkundigte, antwortete Sam mit einer schmerzlichen, unbestimmten Handbewegung. Er wollte lieber hören, was seine Kollegin über den Stand der Dinge zu berichten hatte.
»War jemand bei dem Hawala-Vermittler in Brooklyn?«
»Ja, aber ohne Ergebnis. Wie nicht anders zu erwarten, weiß der Mann nicht mal, woher das Geld stammt. Die Überweisungen kommen von Konten aus Steueroasen.«
»Und die Umschläge, die man gefunden hat, bei dieser Miss …?«
»Khan, Asima Khan«, sagte sie. »Die Namen decken sich mit denen der Implantierten auf den Listen
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