Todesläufer: Thriller (German Edition)
den zerknitterten Umschlag enthielt.
»Danke, Rob.«
»Ich denke, das wird euch beiden mehr nützen als mir.«
Aber Sam war nicht ganz bei der Sache. Hat er »Miss McGeary« gesagt? Woher wusste Boromir, dass sie nicht verheiratet war?
Liz schenkte ihm zum ersten Mal an diesem Tag ein Lächeln.
»Also wirklich. Und ich dachte immer, ich kann Benton nicht ausstehen. Da habe ich wohl meinen Meister gefunden!«
»Hattest du schon mal mit ihm zu tun?«
»Als ich noch beim FBI war, vor 2001. Wir haben hauptsächlich in Seattle zusammengearbeitet … damals, als Globalisierungsgegner den Gipfel der Welthandelsorganisation gestört haben.«
»Und er hat sich an dich rangemacht, stimmt’s?«
»Ach was, nicht die Spur.«
»Und du hast gesagt, er soll sich zum Teufel scheren.«
»Aber nein!« Unwillkürlich errötete sie.
»Und seitdem hasst er dich wie die Pest.«
»Hör mal, was für Sachen erzählst du da?«
»Ich wusste es.«
»Pff …«
»Hat er ekelhafte Sachen von dir verlangt?«
Liz unterdrückte ein spontanes Lachen.
Ihr scherzhaftes Geplänkel endete jäh, als zwei geschlossene, weiße Leichensäcke vorübergetragen wurden. Um sie herum sah es aus wie nach dem Weltuntergang. Ein Opfer nach dem anderen wurde nach oben gebracht, tot oder in einem Zustand, der keine günstige Prognose zuließ.
»Und welches Problem hast du mit unserem Freund ?«, fragte sie mit ernster Miene.
»Ach, weißt du, das ist kompliziert … und vor allem liegt es schon lange zurück.«
Mit einem Ausdruck von Trauer betrachtete Liz den Schutt ringsum. In die Beklemmung des Augenblicks platzte das Schrillen ihres eigens für amerikanische Regierungsstellen entwickelten Smartphones vom Typ Sectera Edge.
»Liz McGeary … Sehr wohl.«
Sie wendete sich ab, um ungestört telefonieren zu können.
»Hmm … Ich verstehe … In Ordnung, ja … Auf Wiederhören. Und noch einmal vielen Dank für Ihr Vertrauen.«
»Und? Was sagen die großen Manitus?«
»Es hat schon wieder eine Explosion gegeben, diesmal in Atlantic City. Man weiß aber noch nicht, ob der Mann von selbst in die Luft geflogen ist oder ob jemand eine Bombe in seinem Auto angebracht hat. Die Zeugenaussagen sind widersprüchlich.«
»Du hast doch hier schon alle Hände voll zu tun, oder?«
»Nun ja … Mir werden alle vergleichbaren Fälle übertragen.«
»An der Ostküste?«
»Im ganzen Land, Sam. Im ganzen Land.«
Erst in diesem Moment ging ihm auf, welche Karriere Liz McGeary im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre gemacht haben musste. Wären sie beisammengeblieben, würde sie jetzt womöglich, wie er, in einem miesen, kleinen Stadtteilrevier versauern und Drogenhändler festnehmen oder nach gestohlenen Autos suchen.
Die Entscheidung, sich von ihm zu trennen, hatte ihr offensichtlich ebenso gutgetan wie die, diese Nervensäge namens Francis Benton abzuwimmeln. Um die vierzig, unverheiratet, zweifellos auch kinderlos … was für eine Frau!
»So lautet die Vorschrift, bei der Heimatschutzbehörde ebenso wie beim FBI . Wenn eine Angelegenheit auf das ganze Land übergreift, hat die örtliche Dienststelle …«
»… die den ersten Fall bearbeitet hat, Vorrang vor allen anderen, ich weiß. Ich hab zwar die Prüfung in Quantico vermasselt, aber alles habe ich nicht vergessen.«
»Tut mir leid, Sam …«
Was tut ihr leid? Ihr Ungeschick? Dass sie ihm vor langer Zeit den Laufpass gegeben hatte? Die Reihe von Beförderungen, die sie bis ganz nach oben auf der Karriereleiter gebracht hatten, und auf die er nie würde verweisen können?
»Und jetzt?«, fragte er ebenso vage.
»In einer Stunde muss ich Adrian Salz Bericht erstatten.«
»Dem Stabschef des Präsidenten?«
»Höchstpersönlich. Und einer ganzen Reihe von Ministern und Generälen, die an dieser Videokonferenz teilnehmen.«
»Wie gemütlich!«, spottete er. »Und vorher?«
»Vorher bitten wir die NSA um einen Bericht über alles, was sie haben, das möglicherweise mit unseren Explosionen zu tun haben könnte.«
»Wenn du mich fragst, eine Stecknadel im Heuhaufen.«
»Da ist was dran. Aber wenn man weiß, welche Farbe der Stecknadelkopf hat, macht das die Sache schon leichter, das kannst du mir glauben.«
»Was meinst du damit?«
Sie bändigte ihre Mähne mit einem Haargummi, reckte sich ihm entgegen und sagte: »… dass wir deinem Attentäter einmal einen Besuch abstatten werden. Vielmehr dem, was von ihm übrig ist.«
10 UHR 25 – NEW YORK – CAMPUS DER COLUMBIA-UNIVERSITÄT –
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