Todeslauf: Thriller (German Edition)
vor, was für eine Erleichterung es wäre, Piet loszuwerden. Bald ist es so weit, dachte ich. Sehr bald. Wir saßen im Auto und beobachteten das Firmengebäude, doch es passierte absolut nichts. Die Stunden vergingen, es begann bereits zu dämmern.
»Wie kommt ein kanadischer Soldat in dieses Geschäft?«, fragte Piet, um das Schweigen zu brechen.
Ich sah ihn an. »Mir war langweilig. Wie bist du denn dazu gekommen, mit Frauen zu handeln?«
Er lächelte. »Ich brauchte Geld für die Kunstakademie.«
»Das überrascht mich jetzt.«
»Es gibt wahnsinnig viele junge Leute in Amsterdam, die ein Van Gogh oder Rembrandt werden wollen. Egal, ich hab da jedenfalls einen Typen gekannt – ein Freund meiner Mutter. Er brauchte jemanden, der ihm half, Mädchen nach Holland zu bringen. Ich hab einen Van für ihn gekauft, mit dem wir sie transportieren konnten, und irgendwann hab ich das Geschäft übernommen.«
»Übernommen?«
»Er hat geheiratet und fand, dass er mit dem Geschäft aufhören sollte. Hast du etwa gedacht, ich hätte ihn umgebracht?«
»Ja.«
»Nein. Ich kenne ihn, seit ich zwölf war.« Er rieb sich an der Unterlippe. »Er hat jetzt einen Coffee Shop.«
Ich wollte Piet wirklich nicht als Mensch kennenlernen, aber irgendwie verspürte ich einen instinktiven Drang, zu verstehen, warum er so war. »Und das Schwert?«, fragte ich.
»Das Schwert – das bin ich.«
»Es macht dich auffällig. Wär’s nicht besser, unauffällig zu bleiben?«
»Ich trag’s auch ein bisschen als Erinnerung an meine Mutter.«
»War sie Japanerin?«
»Ja. Sie kam nach Amsterdam, weil sie sich verliebt hatte. Ihr Freund ließ sie sitzen, aber sie blieb da.«
Ich erinnerte mich, dass Nic Piet einmal einen Hurensohn genannt hatte. Vielleicht hatte er es nicht bloß als Beleidigung gemeint, sondern als Tatsache. Vielleicht hatte Piets Mutter wirklich in der Rosse Buurt gearbeitet; viele der Frauen dort waren Asiatinnen.
»Ich wollte damals Kunst studieren und irgendwelche Sachen im japanischen Stil machen – zum Beispiel Netsuke, diese geschnitzten Figuren, oder Gouache und Aquarell. Meine Mutter hat so was in ihrer Freizeit gemacht.« Er zuckte die Achseln. »Aber das mit der Kunstakademie hat nicht geklappt. Sie haben mich dort nicht gemocht, und ein Mädchen hat mir Ärger gemacht. Arschlöcher. Ich hab dann aufgehört.«
Ich hatte mir Piet nie als einen Menschen mit geplatzten Träumen vorgestellt. Er las mir den Gedanken vom Gesicht ab. »Ah, du hast gedacht, ich wär einfach nur eine Schlange, so wie alle anderen in dem Geschäft.« Er lachte.
»Na ja, ich …«
»Mann, wir sind alle Schlangen. Gregor tut gern so, als hätte er sich gehäutet und wär jetzt richtig ehrbar, aber seine Schuppenhaut ist immer noch da. Und du, schätze ich mal, bist auch eine sehr gerissene Schlange, Sam.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Klar. Nachdem ich aus der Army geflogen bin, ging ich nach Prag; ich hab etwas Tschechisch gesprochen, meine Großmutter war Tschechin. Aber ich hab keinen richtigen Job dort gefunden, also hab ich mich selbstständig gemacht. Und du hast gleich nach der Kunstakademie mit dem hier angefangen?«
»Nicht direkt. Das Erste waren Auftragsarbeiten für die Amsterdamer Polizei, ich hab Homepages und Broschüren gestaltet«, sagte er und begann zu lachen. »Dann hab ich gesehen, wie viel die andere Seite bezahlt.«
Ich sah ihn an. »Das nenn ich eine Veränderung.«
»Mit dem hier verdient man richtig Geld. Hätte ich weiter für die Polizei gearbeitet, wäre ich immer nur ein Rädchen im Getriebe geblieben. Ich wollte die Rädchen schmieren, aber nicht selber eines sein.«
»Und dann hast du mit dem Mädchenhandel begonnen.« Irgendetwas ließ mich weiterreden, obwohl es sich abartig anfühlte, hier mit diesem Monster in Menschengestalt zu sitzen und zu plaudern.
»Gute Gewinnspanne«, antwortete er achselzuckend. »Wachsende Nachfrage. Und der Rohstoff geht einem auch nicht so schnell aus.«
Eine kalte, brutale Kalkulation. Ich fragte mich, ob das eine verdrehte Art von Rache an seiner Mutter war. »Du verkaufst Leute, Piet.«
»Du klingst ja wie’n Schulmeister.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich seh’s einfach so, dass ich damit Leute zufriedenstelle.«
»Nicht die, die du verkaufst.«
Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Die haben kein Geld. Die zählen nicht.« Das Lächeln wurde schmierig. »Weißt du, die leben hier immer noch besser als bei sich zu Hause. Ich tu ihnen eigentlich
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