Todeslauf: Thriller (German Edition)
nicht mit mir wie mit einem Anfänger«, erwiderte er gereizt.
»So meine ich es nicht. Aber man tötet nur, wenn’s unbedingt nötig ist.« Das stimmte auch. »Das hier ist unnötig.«
Sein Gesicht rötete sich. Er ließ sich nicht gern belehren.
»Ich mach das mit dem Auto«, sagte ich. »Ohne den Typ zu töten. Du bleibst hier. Pass auf, dass er dich nicht sieht.«
»Aber wenn er dein Gesicht sieht, bringst du ihn um.«
»Das wird er nicht.« Ich sprang aus dem fahrenden Van, knallte die Tür zu und lief los. Der junge Mann – ein dünner Kerl mit Brille – wollte sich gerade zu mir umdrehen, als ich ihm einen präzisen Nackenschlag versetzte. Er sank zu Boden, und ich fing ihn auf. Ich zog ihn beiseite und legte ihn vor ein paar geparkte Autos, wo sich ein schmaler Grasstreifen vor der Betonmauer des Industrieparks erstreckte. Sein Atem war regelmäßig.
Ich fand den Autoschlüssel in seiner Hosentasche und fischte ihn heraus. Piet war schon aus dem Volvo gesprungen. Wir liefen zum Mercedes, ich schloss auf und setzte mich ans Lenkrad.
»Das ist verdammt glattgegangen«, sagte er. Doch da war keine Bewunderung in seiner Stimme. »Wo hast du das gelernt?«
»Kanadische Sondereinsatzkräfte.«
Er sagte nichts mehr. Ich lenkte den Wagen aus dem Industriegelände. »Wohin?«, fragte ich.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir trauen soll, Sam«, sagte er. Und er griff nach dem Sturmgewehr, das er neben sich liegen hatte.
53
Mila lief. Sie hatte von der Tür aus vier kalkulierte Schüsse in die Schlosserei abgefeuert. Es war ihr vor allem darum gegangen, Verwirrung zu stiften. Sie hatte den Blonden am Arm getroffen und Howell und seine Männer gezwungen, sich für eine Minute ganz auf sie zu konzentrieren, was Sam hoffentlich genug Zeit verschafft hatte, um zu entkommen.
Dann zog sie sich zurück, lief über den Parkplatz und um die Hausecke. Ein Schild mit der Aufschrift Gesloten – Geschlossen – hing an einer Tür. Sie knackte das Schloss mit einem Dietrich und schlüpfte hinein. Sie knallte die Tür zu und eilte an den Vorhang eines Bürofensters, um die Lage zu beobachten.
Fünf Minuten später kamen Howell und seine beiden Männer heraus. Der chinesische Hacker war nicht mehr dabei. Der große Blonde hielt sich den Arm, seine Jacke war von Blut durchtränkt. Der andere Mann humpelte, es hatte ihn offensichtlich am Bein erwischt. Der Gesichtsausdruck der beiden Männer war mehr zornig als schmerzverzerrt. Howells Gesicht drückte blinde Wut aus.
Der Van fuhr weg. Howell machte sich aus dem Staub, ohne den Tatort zu sichern. Vielleicht würde er die holländische Polizei rufen, aber dann müsste er erklären, wie es kam, dass CIA-Agenten in einem Lagerhaus in einen Schusswechsel verwickelt wurden. Das Industriegelände wirkte zwar verlassen – trotzdem konnte jemand in der Umgebung die Schüsse gehört und die Polizei gerufen haben.
Zehn Sekunden nachdem der Van davongebraust war, traf sie ihre Entscheidung. Howell wartete nicht auf die Polizei, aber möglicherweise hatte er sie verständigt – dann würden die Bullen in wenigen Minuten hier sein. Mila blieb nur wenig Zeit, um sich in dem Gebäude umzusehen.
Sie eilte in die alte Schlosserei zurück. Der stechende Geruch verriet, dass hier geschossen worden war, außerdem hing süßlicher Tabakgeruch in der Luft.
Bei einer Drehbank sah sie dicke Blutstropfen auf dem Boden. Der chinesische Student hatte eine Kugel in den Kopf bekommen. Sie blickte auf ihn hinunter – es sah nicht so aus, als würde er noch atmen. Sie nahm ihm seinen Ausweis ab; alles, was die Ermittlungen der Polizei verzögerte, war ihr willkommen. Sie öffnete die Tür zu einem Büroraum. Leer. Sie eilte durch den ganzen Bürobereich, angespannt, halb erwartend, Sams Leiche irgendwo liegen zu sehen. Doch er war nicht da.
Dann lief sie einen kurzen Gang hinunter und stieß auf eine massive Stahltür. Hier. Sie mussten hier drin sein.
Mila knackte das Schloss so leise wie möglich. Der Mechanismus gab nach, und ihre Hand ging zu ihrer Pistole zurück. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, dann trat sie die Tür auf. Schreie empfingen sie. Acht Frauen, halb nackt, voller blauer Flecken, an die Wand gekettet.
Einen Moment lang zögerte sie. Ein Schmerz, so scharf wie eine Messerklinge, durchzuckte ihre Brust. Sie starrte die Frauen an, und sie starrten zurück. Aus der Empörung stieg neue Kraft in ihr auf. Hatte Howell nicht gewusst, dass diese Frauen hier waren?
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