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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Palm
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Wahrscheinlichkeit, dass sie die kleine Nadel mit dem Rossing-Emblem übersehen würden, war ziemlich gering. Nein, sie war gezwungen, sie an sich zu nehmen, bevor sie eintrafen. Sie ging näher an ihren Wagen heran. Die Nadel war nun in Reichweite. Sie musste nur einen geeigneten Moment abpassen, in dem die Polizisten abgelenkt waren.
    Als die Kriminaltechniker zehn Minuten später in ihrem dunkelblauen Kastenwagen eintrafen, bot sich diese Gelegenheit. Blitzschnell beugte Ella sich hinunter und tat so, als richte sie ihre Schuhe, und griff sich die Nadel. Sie ließ sie in ihre Manteltasche gleiten und atmete aus. Als die Kriminaltechniker aus ihrem Wagen stiegen, begrüßte sie sie kurz. Es waren ein Mann und eine Frau, mit denen sie bereits mehrfach zusammengearbeitet hatte.
    Der Polizist mit den Sommersprossen begleitete Ella zum Dienstwagen und fragte sie, ob es für sie in Ordnung wäre, allein nach Hause zu fahren.
    »Wollten Sie etwa mitfahren?«, fragte sie abweisend.
    Sie bereute ihre Frage sofort. Er wollte lediglich fürsorglich sein und machte seinen Job, und sie machte sich über ihn lustig. Sie wollte ihn um Entschuldigung bitten, doch er sah sie nur traurig an. Sie war sich nicht einmal ganz sicher, ob er ihren Kommentar gehört hatte.
    »Danke, dass Sie sich für John eingesetzt haben«, begann er. Seine Stimme war schwach und trug kaum.
    Ella blieb vor dem Dienstwagen stehen und betrachtete den jungen Polizisten verdutzt. Seine Augen glänzten im schwachen Schein der Straßenlaternen. Er war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Er schaute zu Boden und räusperte sich.
    »Ich war nicht stark genug«, fuhr er fort, als er sich etwas gesammelt hatte. »Ich hätte Alarm schlagen sollen, als ich ihn fand.«
    Seine Stimme versagte, und er verstummte. Ella trat einen Schritt näher und begegnete seinem Blick. In seinen großen traurigen Augen tat sich ein Abgrund der Verzweiflung auf. Ella benötigte nicht mehr als einen Vornamen – John. Sie wusste sofort, von wem er sprach. Dass bereits vor den Eltern jemand die Leiche gefunden hatte, hatte sie natürlich nicht gewusst, aber das erklärte andererseits, warum irgendjemand so überzeugt davon war, dass John sich nicht das Leben genommen hatte. Er war es gewesen, der die Buchungsbestätigung und die Internetadresse der Bondageseite an ihrem Wagenfenster hinterlassen hatte.
    Ella wusste, dass sie dem inneren Druck nicht würde standhalten können, hatte jedoch keine andere Wahl. Manchmal musste sie der Trauer begegnen, den Schmerz der Angehörigen annehmen und dessen Macht mitfühlen. Ella konnte seine Verzweiflung spüren. Ihre Reaktion war unausweichlich, und sie tat auch nichts, um sie zu unterdrücken. Die Trauer stieg in ihrer Brust auf, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.
    Schweigend standen sie da und schauten einander an. Während eines kurzen Augenblicks auf dem Parkplatz vor der Rechtsmedizinischen Abteilung teilte Ella die Trauer des jungen Polizisten. Er brauchte nichts weiter zu sagen.
    Die Stille wurde von seinem Funkgerät unterbrochen.
    »Wo bleiben Sie, Danielsson?«
    Mit einem Seufzer streckte er sich nach dem Gerät und antwortete kurz.
    »Hatte ein paar Probleme mit dem Wagen. Bin in zwei Minuten zurück.«
    Er richtete sich auf und wischte sich die Tränen von seinen sommersprossigen Wangen. Dann drehte er sich widerstrebend um und ging in Richtung des Parkhauses davon.
    »Danielsson«, rief Ella ihm nach.
    Er drehte sich um und schaute sie verwundert an.
    »Fliegen Sie auf jeden Fall!«
    Der großgewachsene Polizist wirkte vollkommen verwirrt.
    »Mykonos«, sagte Ella etwas leiser. »Im Mai soll es dort wunderschön sein.«
    Sie lächelte ihm zaghaft zu. Er nickte und lächelte kurz zurück. Dann war er verschwunden, von der Dunkelheit verschluckt.
    Ella blieb noch eine Weile im Auto auf dem Parkplatz sitzen. Das bedrückende Gefühl in ihrer Brust verschwand langsam. Darin bestand der Unterschied – die Trauer, die sie gerade empfunden hatte, würde sich im Laufe des Abends verflüchtigen. Doch der junge Mann würde sie immer in sich tragen.
    Es war ein merkwürdiger Abend. Zuerst die Beschädigung ihres Autos und dann die seltsame Begegnung auf dem Parkplatz. Erst auf dem Nachhauseweg begann sie darüber nachzudenken, was ihr Fund unter dem Auto wohl zu bedeuten hatte. Jemand hatte wohl kaum die Krawattennadel dort verloren, sondern sie war eher bewusst dort hingelegt worden. Wahrscheinlich von jemandem, der davon

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