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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Palm
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warmen Wassers fröstelte sie. War sie lediglich ein Teil der Welt gewesen, die ihn bedrückte?, fragte sie sich. Warum in aller Welt hatte er dann überhaupt ein Kind gezeugt? Warum hatte er Judit nicht verlassen, bevor seine Tochter entstanden war?
    Im selben Augenblick, als sie diese Fragen formuliert hatte, verspürte sie einen schuldbewussten Stich in der Brust. Auch wenn die Entscheidung, ein Kind in die Welt zu setzen, langjährige Verpflichtungen mit sich brachte, war sie kaum die geeignete Person, um jemanden zu verurteilen. Sie hatte keine Ahnung davon, wie es ihm ergangen war, welche Faktoren ihn beeinflusst und die Auslöser für seine Entscheidungen gewesen waren, die er traf. Dann musste sie erneut an das Gedicht von Karin Boye über den Frühling denken. Das Gedicht thematisierte nicht nur den Frühling, das war klar. Es handelte davon aufzubrechen, vielleicht auch davon, dazu zu stehen, wer man war. Ella schluckte schwer. Sie sah ein, dass sie die Flucht ihres Vaters aus einem Leben mit Frau und Kind nicht einfach als Zeichen für Feigheit und Egoismus werten konnte. Seine Flucht war ein Zeichen dafür, wie verzweifelt er gewesen sein musste. Wenn es sie selbst schon mehrere Jahre gekostet hatte, die Beziehung mit Markus zu beenden, obwohl sie kinderlos waren und auch sonst keine erschwerenden Faktoren hinzugekommen waren, dann musste Fredericks Aufbruch mit einer Angst verbunden gewesen sein, die jenseits von Ellas Vorstellungsvermögen lag.
    Die Tatsache, dass sie während ihrer privaten Suche nach der Wahrheit über den Tod ihres Vaters erfahren hatte, dass er mit einem anderen Mann zusammengelebt hatte, war etwas, womit sie nicht gut umgehen konnte. Vielleicht hatte sie es der wunderbaren Marie zu verdanken, die ihr die Nachricht überbracht hatte, dass ihre Reaktion nicht krasser ausgefallen war. Ella musste lächeln. Marie Cuvelier. Was für eine einzigartige Frau. Ihre Worte hatten bewirkt, dass sie die Liebe ihres Vaters zu diesem Christopher wie eine Szene aus einem Stück von Shakespeare betrachten konnte. Beschämt stellte sie fest, dass es sich lediglich um Liebe handelte. Liebe zwischen zwei Menschen. Komplizierter musste es doch gar nicht sein. Und dennoch hatte Homosexualität zu der Zeit, als ihr Vater sich in Christopher verliebte, als eine psychische Krankheit gegolten. Vor ihrem inneren Auge blitzte das Bild des jungen John Westmark auf. Manche sahen es offenbar immer noch als etwas Krankhaftes an, etwas, das es auszulöschen galt. Sie stellte sich vor, wie es wohl gewesen wäre, bei ihrem Vater aufzuwachsen. Wie hätte ihr Leben dann ausgesehen? Sie konnte sich selbst als Sechsjährige Hand in Hand mit Frederick und Christopher sehen.
    Dann tauchte etwas anderes vor ihrem inneren Auge auf. Das Skelett. Das Skelett mit der Wurzel, die durch die Augenhöhle gewachsen war. Das Bild ihrer fiktiven Kindheit löste sich auf.

Kapitel 13
    Das Telefon klingelte schrill. Sie hatte fast vergessen, dass sie schon einen Anschluss in ihrer neuen Wohnung hatte. Normalerweise riefen ihre Freunde sie auf dem Handy an, denn das war die sicherste Möglichkeit, sie zu erreichen. Auf dem Weg zum Telefon musste sie beschämt daran denken, wie sehr sie ihre Freunde vernachlässigt hatte. Nach einer Trennung müsste man eigentlich engeren Kontakt zu seinen Freunden pflegen, dachte sie. Aber sie hatte die Leere stattdessen mit fanatischen Nachforschungen über ihre Vergangenheit ausgefüllt. Tja, und mit Mikael. Allein der Gedanke an ihn ließ sie lächeln.
    »Ella Andersson.«
    Am anderen Ende war es still. Dann hörte sie Judits dünne Stimme.
    »Es geht um Grete«, begann sie.
    Endlich ist die Alte tot, dachte Ella, bevor Judit fortfuhr.
    »Sie liegt im Krankenhaus. Sie hatte einen Schlaganfall.«
    Ella seufzte tief.
    »Wie schlimm ist es?«, fragte sie dann sachlich.
    Sie konnte hören, wie ihre Mutter schluchzte, und wartete ungeduldig auf eine Fortsetzung.
    »Sie kann nicht sprechen, und sie kann ihren rechten Arm und ihr rechtes Bein nicht bewegen.«
    Ihre Worte waren vor lauter Schluchzen kaum zu verstehen.
    Na, dann ist es ja nicht so schlimm, dachte Ella im Stillen. Es wäre bedauerlicher gewesen, wenn es ein Organ betroffen hätte, das sie wirklich verwendete.
    »Ihr Gesicht ist ganz schief«, fuhr Judit fort.
    »Ich verstehe«, sagte Ella. »Und seit wann hat sie diese Symptome? Wird sie behandelt?«
    »Ich gebe dir mal die Krankenschwester«, entgegnete Judit rasch, woraufhin Ella hörte, wie

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