Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
fällst. Du bist ja spindeldürr.«
Estrids Vorstellung von der perfekten Figur stand in befreiender Art und Weise nicht ganz im Einklang mit dem aktuellen Schönheitsideal.
»Ich würde dich allerdings gerne fragen, ob du etwas darüber weißt, dass mein Vater vor vielen Jahren einen Verkehrsunfall gehabt haben soll.«
Estrid runzelte die Stirn.
»Aber du meinst nicht den auf den Kanarischen Inseln, oder? Das war ja, lange bevor er Judit kennenlernte.«
»Weißt du zufällig, ob er sich dabei verletzt hat?«, schob Ella blitzschnell hinterher.
»Keine Ahnung. Ich kannte Frederick ja nicht, bevor er in die Familie Liedenburg-Rossing einheiratete. Ich kann mich lediglich daran erinnern, dass er irgendwann einmal von einem Verkehrsunfall gesprochen hat. Ich glaube, er war damals nach dem Abitur gemeinsam mit Freunden unterwegs.«
»Und du weißt nicht zufällig, auf welcher Insel er genau war?«, versuchte Ella es zögerlich.
Estrid schüttelte lediglich den Kopf.
»Vielleicht auf Mallorca«, antwortete sie und zuckte mit den Achseln.
Wunderbar, dachte Ella. Eine Insel, die nicht einmal zu den Kanarischen Inseln gehörte.
Sie aßen die restlichen Waffeln schweigend. Mit ein wenig Überredungskunst durfte Ella schließlich Estrids Ohren untersuchen. Kein einziges Schmalzpartikel, stellte sie zufrieden fest. Ella wusste, dass sie Estrids Wohnung nicht verlassen durfte, ehe sie Kaffee getrunken hätten, deshalb setzte sie sich folgsam wieder und beobachtete die alte Dame, während sie Kaffee aufsetzte. Dafür, dass sie unter ausgeprägten Gelenkbeschwerden litt, bewegte sie sich erstaunlich flink. Ihre Küche war mit einer Reihe von raffinierten Hilfsmitteln ausgestattet, die ihr die Arbeit erleichterten.
Als Estrid den Kaffee eingeschenkt und sich endlich zu Ella an den Tisch gesetzt hatte, fuhr sie plötzlich wieder hoch.
»Ich habe ja mein Tagebuch ganz vergessen«, rief sie aus.
Sie watschelte aus der Küche und kehrte mit zwei Büchern unter dem Arm zurück. Beide waren gebunden, aber das eine war mit einem braunen Lederriemen versehen und glich einem Tagebuch, das andere sah aus wie ein ganz normales Buch.
»Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich jeden Tag etwas hineingeschrieben hätte, aber wenn irgendetwas passiert ist, habe ich es mir notiert.«
Auf der Innenseite des Einbands stand 1973-1979. Wenn es sieben Jahre gedauert hatte, dieses nur gut einen Zentimeter dicke Buch zu füllen, konnte ihr Leben wirklich nicht gerade ereignisreich gewesen sein, dachte Ella.
»Ich weiß, dass ich bereits nach deinem letzten Besuch in diesem Tagebuch gesucht, aber leider keine einzige Notiz zu den betreffenden Tagen gefunden habe. In jenem Frühjahr habe ich offenbar nicht viel aufgeschrieben. Dennoch hätte ich schwören können, dass ich mir irgendwo Notizen zu diesem Telefonat gemacht habe, das Ernst geführt hat. Doch dann fiel mir plötzlich ein, warum nichts in meinem Tagebuch stand.«
Estrid strahlte und streckte sich stolz.
»In jenem Frühjahr habe ich nämlich all meine freie Zeit darauf verwendet, Kerstin Ekmans Bücher zu lesen. Ich hatte gerade Hexenringe gelesen und wartete sehnsüchtig darauf, dass Die Springquelle erscheinen würde.«
Estrid legte das zweite Buch auf den Küchentisch, das sie mitgebracht hatte, es war Die Springquelle von Kerstin Ekman. Sie blätterte zur letzten Seite vor. In der oberen Ecke hatte sich jemand mit dünner Bleistiftschrift kurze Notizen gemacht.
»Ich habe mir auf dem Papier, was ich gerade zur Hand hatte, notiert, was ich aufgeschnappt habe«, erklärte sie triumphierend.
Ella nahm das Buch zur Hand und versuchte Estrids nachlässige Handschrift zu entziffern. Es waren keine ganzen Sätze, sondern lediglich einzelne Worte.
23. März.
Klaus. Linnégata. Mercedes.
Nestbeschmutser.
Ella betrachtete Estrid.
»Nestbeschmutser?«
»Ja, ich weiß auch nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man es so schreibt. Ich habe es so aufgeschrieben, wie ich es gehört habe«, fügte sie rasch hinzu.
Ella griff sich einen Zettel und schrieb sich die Notizen ab. Als sie schließlich im Mantel im Flur stand, flüsterte Estrid ihr fast unhörbar zu:
»Du glaubst, dass sie ihn getötet haben, nicht wahr?«
Ella legte den Kopf schief und betrachtete sie. Estrids Augen blickten traurig drein, aber ansonsten war ihre Miene nahezu ausdruckslos.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich glauben soll«, entgegnete Ella ruhig. »Aber ich werde alles tun, was in meiner
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