Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
natürlich auch irgendeine Form eines Identifizierungsberichts enthalten. Und tatsächlich fand sie ihn direkt hinter dem Gutachten. Auch dieses Dokument war kurzgefasst.
Bei der Obduktion der stark verbrannten Männerleiche, die in der Linnégata 12 am 25. 3. 1976 aufgefunden wurde, konnte ein gut verheilter Bruch mit geringer Fehlstellung am linken Oberarmknochen diagnostiziert werden. Der Mann, der unter o.g. Adresse gemeldet war, hatte nach Aussage seiner Mutter als junger Mann während eines Auslandsurlaubs einen Verkehrsunfall erlitten. Bei diesem Unfall soll er sich den linken Arm gebrochen haben. Irgendwelche ärztlichen Unterlagen oder Röntgenbilder zur vergleichenden Identifizierung konnten nicht beigebracht werden. Während der Obduktion wurde dem Mann vom linken Ringfinger ein Goldring abgenommen, den man der Polizei übergab.
Kriminalinspektor Tommy Olofsson wurde über die o.g. Sachverhalte in Kenntnis gesetzt, woraufhin er die Identität der Leiche Frederick Andersson, geboren am 12.11.1945, zuschrieb.
Ella dachte über den Bericht nach. Es war einer der schlechtesten Identifizierungsberichte, die sie je gelesen hatte. Andererseits war es nicht ungewöhnlich, dass die Polizei keinerlei Zweifel an der Identität aufkommen ließ, obwohl die Leiche kaum noch Züge eines menschlichen Wesens aufwies. Sie konnte sich allerdings auch an keinen einzigen Fall erinnern, bei dem sich im Nachhinein herausgestellt hätte, dass die vermutete Identität falsch war. Sie konnte nur davon ausgehen, dass es tatsächlich der Ehering ihres Vaters war, den Judit in den ersten Jahren nach dem Brand an einer Kette um ihren Hals getragen hatte. Dennoch wurde sie den Gedanken nicht los, der in ihr Bewusstsein gedrungen war.
Ella verbrachte nahezu zwei Stunden des Nachmittags damit, ihren Flug und ein Hotel zu buchen. Bei Dienstreisen war es von entscheidender Bedeutung, sich an die Economy Class zu halten und ein Hotel zu wählen, das nicht als luxuriös aufgefasst werden konnte. Der Preis schien eine untergeordnete Rolle zu spielen. Ella entschied sich für ein kleines Hotel mitten in Paris, das nicht weit vom Centre Pompidou lag. Sie war zwar keine hingebungsvolle Verehrerin moderner Kunst, hatte jedoch schon einiges über das Museum gehört und dachte, dass es bestimmt einen Besuch wert sein würde. Als sie gerade Feierabend machen wollte, kam Simon zu ihr ins Zimmer.
»Ich hab gehört, dass du nach Paris fährst.«
Er sah müde aus. Nicht einmal der braune Anzug und die farbenfrohe orangefarbene Krawatte konnten verbergen, dass ihn irgendetwas bedrückte. Vielleicht war die Romanze vorbei, von der er ihr erzählt hatte, dachte sie.
»Setz dich doch!«
Jetzt war es an Ella, ihn zum Sprechen zu bewegen. Und Simon schien genau dies dringend nötig zu haben. Ella nahm ihren Mantel von ihrem Besucherstuhl und schloss die Tür.
Sie saßen über eine Stunde in ihrem Büro, während Simon von seinem Bruder berichtete, der erneut in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden war. Simon hatte die psychische Krankheit seines kleinen Bruders zwar schon zuvor erwähnt, aber Ella hatte nicht gewusst, dass er manisch depressiv war. Zum ersten Mal war er offenbar während seines Studiums erkrankt, als Simon Medizin studierte und sein Bruder an der Technischen Hochschule immatrikuliert war. Während des fünften Semesters hatte sich sein Verhalten deutlich verändert, und sein bereits ambitioniertes Lernverhalten wurde immer hysterischer. Als seine manische Phase ihren Höhepunkt erreichte, hatte er drei verschiedene Professoren für sich gewonnen, die alle der Auffassung waren, den perfekten Doktoranden gefunden zu haben. Parallel zu seinen Forschungen schrieb er nachts Bücher über Mathematik. Darüber hinaus hatte er Verhältnisse mit mindestens vier Frauen angefangen, von denen eine seine fünfundzwanzig Jahre ältere Professorin war.
Simon berichtete niedergeschlagen von dem Chaos, das sein Bruder hinterlassen hatte, als er schließlich in eine depressive Phase verfallen war und versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Zum Glück hatte man ihm helfen können, sodass er nach nur sechs Monaten sein Studium wieder aufnehmen konnte. Dank seiner täglichen Medikamenteneinnahme und der Unterstützung durch Angehörige und Ärzte hatte er seitdem keine manischen oder depressiven Phasen mehr gehabt. Bis jetzt. Es war Simon, der sich schließlich gezwungen sah, den Psychiater seines Bruders anzurufen. Dieser hatte seinen
Weitere Kostenlose Bücher