Todesmelodie
indem sie immer am Fluß entlanggingen. Sharon schwitzte schon bald vor Anstrengung, und sie war froh, daß die feinen Wassernebel, die vom Fluß her aufstiegen, ihre nackte Haut angenehm kühlten.
»Das ist himmlisch«, murmelte sie. Selbst das Insektenmittel, das Chad ihr gegeben hatte, war diesmal völlig unnötig, denn die Mücken ließen sie vollkommen in Ruhe.
»Ja, es ist ein sehr schöner Tag«, stimmte Chad ihr zu.
Sharon schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wir haben soviel Spaß gehabt auf diesem Wochenendausflug!« Sie hielt einen Moment inne, bevor sie leise sagte: »Tut mir leid!«
»Du kannst ruhig darüber sprechen!«
»Aber du mußt doch längst genug davon haben, mir zuzuhören!«
»O nein, nie!«
Sie lächelte ihm zu.
»Warum bist du bloß so nett?«
»Irgendwie muß ich doch mein Aussehen wieder wettmachen!«
»Hör auf damit, Chad! Du siehst gut aus, das finde ich jedenfalls!«
»Ja«, meinte er trocken, »du kommst aber gerade erst aus dem Gefängnis!«
Lachend gab sie zu: »Na gut, ich finde im Moment wirklich alles toll! Weißt du, was ich gleich nach dem Prozeß gegessen hab’?«
»Ein schönes Steak?«
»Nein, eine Pizza – mit viel Peperoni und dicker Kruste. Davon hatte ich in meiner Zelle die ganze Zeit über geträumt.
Ich hab’ sogar Bilder von Pizzas an meine Zellenwand gemalt!« Sie stöhnte in gespielter Verzweiflung.
»Aber dieses Essen war total verrückt: Mein Anwalt hatte die ganze Zeit seine Hand auf meinem Knie, obwohl meine Mutter neben ihm saß – und sie hat ihn auch noch ermutigt! Sie glaubt, er sei der ideale Mann für mich, und sie hat ihm gesagt, er soll mich nächste Woche doch mal anrufen!«
»War das John Richmond?«
»Ja.«
»Er ist wirklich ein schlauer Typ!« meinte Chad.
»Da hast du recht! Kannst du dir vorstellen, wie er Anns und Pauls Plan herausgefunden hat?«
»Nein. Hast du eigentlich Fred schon gesehen, seit du wieder frei bist?«
»Er hat mich gestern angerufen und sich für das entschuldigt, was er alles gesagt hat, nachdem Ann von der Klippe gesprungen war. Und dann meinte er, er müsse jetzt auflegen.«
»Willst du wieder mit ihm ausgehen?« erkundigte sich Chad.
»Nein. Ich habe nämlich etwas an ihm entdeckt, was ich nicht leiden kann: Er ist nur dann nett, wenn er schon ein paar Drinks gehabt hat.« Sie stieß Chad freundschaftlich in die Seite. »Und außerdem würde ich lieber mit dir ausgehen!«
Chads Miene hellte sich auf. »Wirklich?«
»Ja.«
»Aber sicher nur aus Freundschaft, oder?«
Sharon wurde rot. »Nicht unbedingt!«
»Hast du im Gefängnis vielleicht irgendwelche harten Drogen genommen?«
»Nein! Wie kommst du darauf? Mache ich den Eindruck, als ob meine grauen Zellen gelitten hätten?«
»Naja…«
»Nur weil ich gern mit dir ausgehen würde?«
»Also…«
»Chad, du bist ein super Typ!« Ihre Stimme wurde leiser. »Willst du nicht mit mir ausgehen?«
Chad zögerte einen Moment bevor er antwortete. »O doch, natürlich!«
»Du vermißt sie sehr, stimmt’s?«
Er blieb stehen und starrte in das eisige Wasser, und seine Miene verdüsterte sich, als sei ein Schatten darüber gefallen. »Ja, vor allem hier!«
Sharon berührte ihn sanft an der Seite. Er trug ein T-Shirt, anders als beim erstenmal, als sie hier gewandert waren. »Ich hätte dich nicht hierherschleppen dürfen!«
»Es war doch meine Idee.«
»Du weißt genau, daß es meine war!«
Chad zuckte verlegen mit den Schultern. »Natürlich bin ich geschmeichelt, daß du dich für mich interessierst. Es ist nur…«
»Es ist nur, weil ich noch nie vorher Interesse an dir gezeigt hab’?«
»Wahrscheinlich«, sagte er widerstrebend.
Sharon blickte hinauf in den klaren Himmel. »Seit ich mich erinnern kann«, sagte sie nachdenklich, »habe ich Pläne für die Zukunft gemacht: Was ich erreichen möchte, wie ich es erreichen kann und so. Ich bin zur Schule gegangen und hab’ mit den Leuten gesprochen, aber in Wirklichkeit war ich nie richtig da. In Gedanken war ich immer bei meiner Musik… oder nein – ich war mit mir selbst beschäftigt, nur mit mir. Ich war so selbstsüchtig, daß ich nicht mal gemerkt habe, was Jerry für mich empfand.«
»Du solltest nicht soviel daran denken!«
»Aber ich will es tun! Ich will zur Abwechslung auch mal an andere denken.« Sharon hatte sich in Eifer geredet. »Jerry ist ja nicht das einzige Beispiel. Schau dir meine beste Freundin an: Ann haßte mich, und ich habe nichts davon gemerkt. Was würdest
Weitere Kostenlose Bücher