Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
fragte sie.
»Das kommt leider nicht so gut rüber«, sagte Ísrún und leierte ihr Sprüchlein herunter, das sie schon auswendig konnte. »Da ich den Beitrag fürs Fernsehen produziere, ist es sehr wichtig, dass die Zuschauer meinen Gesprächspartner sehen. Wiederholen Sie einfach das, was Sie mir gerade am Telefon erzählt haben, der einzige Unterschied ist, dass dabei eine Kamera im Raum steht.« Dann log sie: »Die merken Sie gar nicht.«
Ísrún musste sich richtig ins Zeug legen, um die arme Frau zu einem Fernsehinterview zu überreden. Am Ende gab sie klein bei, doch da hatte Ísrún bereits Zweifel, ob sie wirklich eine so gute Gesprächspartnerin wäre. Gestresste Leute kamen auf dem Bildschirm sehr schlecht rüber, und häufig musste man ihre Aussagen, selbst kurze Sätze, mehrmals aufnehmen. Manchmal war es wirklich am besten, mit Politikern zu reden – die konnten meistens flüssig reden.
»Sieht man auf dem Bildschirm denn nicht, wie aufgeregt ich bin?«
»Aber nein, das merkt garantiert niemand. Die Kamera verbirgt das alles.«
»Wenn es nicht gut wird, dann schneiden Sie es einfach raus, ja? Und zitieren mich lieber.«
»Natürlich«, log Ísrún erneut. Sie bekam langsam ein schlechtes Gewissen, aber der Zweck heiligte die Mittel. Diese Frau wusste alles über Ascheflug und Luftverschmutzung, und der Beitrag würde mit einer Gesprächspartnerin im Bild nur lebendiger und interessanter werden.
Das Interview war eine Katastrophe. Nach der zehnten Aufnahme warf der Kameramann Ísrún böse Blicke zu, die hätten töten können. Dann sagte sie endlich: »Okay, wir müssen jetzt los, ich kann bestimmt was davon verwenden.«
»Hoffentlich«, sagte die Frau und gab Ísrún zum Abschied die Hand, mit schweißnassen Fingern.
»Der Ascheflug wird sich im Lauf des Tages noch verschlimmern«, hatte die Frau vom Meteorologischen Institut gesagt. Was eine gute Neuigkeit war, denn dann würde der Beitrag vielleicht weiter vorne in der Sendung gezeigt – wobei der Leichenfund definitiv die erste Meldung war.
Der Mordfall war in aller Munde, als Ísrún zurück in die Redaktion kam.
»Wir haben einen Namen«, hörte sie Ívar Kormákur zurufen. »Elías Freysson. Wohnhaft in Siglufjörður. Bauunternehmer. Hat sich da im Norden mit Wohltätigkeitsprojekten beschäftigt. Das gibt dem Ganzen eine völlig neue, spannende Dimension. Gutmensch ermordet! Irgendwas in der Richtung. Du findest schon einen interessanten Blickwinkel.«
»Einen interessanten Blickwinkel?«, entgegnete Kormákur. »Der Mann wurde ermordet. Reicht das denn nicht?«
Ívar grinste gereizt und drehte sich zu Ísrún, wohl wissend, dass sie sich nicht über ihn lustig machen würde. »Wie läuft’s mit deinen Kurzmeldungen?«
»Ganz gut.« Sie senkte den Blick. Früher hätte sie sich nicht so kleinmachen lassen.
»Ívar.«
Der Redaktionsleiter schaute auf. Ísrún stand an seinem Schreibtisch. Was wollte sie denn jetzt schon wieder? Ihm vielleicht für den Spruch mit den Kurzmeldungen eins draufgeben, eine Viertelstunde später? Wohl kaum.
»Wolltest du nicht den Beitrag über die Vulkanasche fertigmachen?«, fragte er barsch. Er hatte sich noch nie bemüht, am Arbeitsplatz höflich zu sein – außer gegenüber seinen Vorgesetzten natürlich.
Sie zögerte.
»Na, nun komm schon zum Thema.« Er seufzte.
»Ich dachte, ich könnte mir zusammen mit Kommi mal diesen Mordfall näher anschauen. Es ist ziemlich ruhig bei mir«, sagte sie mit geröteten Wangen und schien ganz aufgewühlt zu sein.
»Ruhig? Das klingt nicht gut.«
»Ich habe die nächsten Tage Dienst und kann den Fall mitverfolgen«, sagte Ísrún ein bisschen bestimmter als sonst. Das überraschte ihn.
»Wir können nicht zwei Leute dafür abstellen«, erklärte Ívar. »Hast du den Sommerbeitrag schon geschnitten?«
»Nein, aber der ist fast fertig. Können die Urlaubsvertretungen ihn nicht fertigstellen?«
»Mal sehen. Wir bringen ihn wahrscheinlich in den Spätnachrichten. Und der Ascheflug?« Ívar verlor langsam die Geduld.
»Ja … ich habe eine Meteorologin beim Wetterinstitut interviewt. Das kann man bestimmt verwenden«, sagte sie verlegen. »Ich würde gerne in den Norden fahren.«
»In den Norden?«, entgegnete Ívar verwundert.
»Ja, in den Skagafjörður. Wo die Leiche gefunden wurde. Vielleicht auch nach Siglufjörður.«
»Verdammt nochmal, Ísrún, wir können dich nicht einfach so aufs Land schicken. Wir müssen sparen und damit
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