Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
Kaffee in der Wache vorbei.
»Wie geht’s, wie steht’s, îmar?«, fragte Tómas.
îmar und Hlynur saßen am Tisch.
»Gut, gut, mein Freund. Und dir?«
Tómas hatte, wenn er ehrlich war, keine große Lust, über seine Gefühle zu reden. Er wusste genau, was îmar hören wollte: Klatsch über seine Frau, die nach Reykjavík gezogen war. Er vermutete, dass die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau – oder vielmehr der Mangel an Beziehung – ein beliebtes Gesprächsthema im Ort war.
»Mir geht’s gut«, sagte er. Ja, es ging ihm
manchmal
gut, aber nur, wenn er nicht an seine Frau dachte. Er wäre so gerne zu ihr gezogen, aber das war leichter gesagt, als getan. Er würde sich gerne freinehmen, vielleicht für ein Jahr, und nach Reykjavík ziehen. Ari könnte die Leitung der Wache übergangsweise übernehmen. Er war ein zäher Bursche.
»Viel zu tun bei euch?«
»Ja, das Übliche«, antwortete Tómas knapp.
»Schrecklich mit diesem Mann, der … ermordet wurde«, sagte îmar mit theatralischer Betonung auf dem letzten Teil des Satzes.
»Ja. Kanntest du ihn?«
»Nein, Gott sei Dank nicht. Er war doch nur wegen der Arbeit hier, oder? Der wollte doch nur am Tunnel verdienen. Alle wollen an diesen neuen Tunneln verdienen. Soweit ich weiß, hat er bei Nóra gewohnt.«
»Ja, er war wohl ihr Mieter«, meinte Tómas. Er wollte dem Alten nicht zu viele Hinweise geben.
Die Kripo Akureyri leitete die Ermittlungen mit Unterstützung der Polizei in Sauðárkrókur, zudem war die Polizei in Siglufjörður involviert.
Ari hatte den Fall fest im Griff. Er hatte den Vorarbeiter Hákon vernommen – oder vielmehr den Heringsjungen Hákon, wie Tómas ihn normalerweise nannte. Der hatte ihm Auskünfte über die engsten Mitarbeiter des Verstorbenen gegeben: Páll Reynisson, der schon mal mit Tómas bei der Polizei gearbeitet hatte, Svavar Sindrason, der in Dalvík wohnte, und Logi Jökulsson.
Tómas und Ari hatten an einer kurzen Telefonkonferenz teilgenommen und erfahren, dass Svavar bereits vernommen worden war. Er kannte Elías zwar schon lange, konnte aber nicht viel sagen. Bei diesem Gespräch hatte sich herausgestellt, dass Elías’ Kollegen gewusst hatten, dass er an dem Haus in Reykjaströnd gearbeitet hatte. Das war kein Geheimnis gewesen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Mord nachts begangen worden, aber zu der Zeit hatte es keine Verkehrskontrolle – und keine Überwachungskameras – gegeben, so dass es schwierig sein würde, herauszufinden, wer in dieser Gegend unterwegs gewesen war. Svavar sagte aus, er habe die ganze Nacht geschlafen, wohnte aber alleine und hatte keine Zeugen.
Man hielt es nicht für ausgeschlossen, dass eine Frau die Täterin war, denn das Brett hatte das Opfer nicht mit voller Wucht getroffen. Es war nicht besonders groß, und der Nagel hatte die schlimmsten Verletzungen verursacht.
Nóra Pálsdóttir hatte ihr Leben – sofern es bereits vergangen war – mit drei Dingen zugebracht: einer gescheiterten Ehe, mit Reisen und damit anderen Leuten in den Mund zu glotzen. Sie hatte Zahnmedizin studiert, weil sie die Tochter eines Zahnarztes war und ein anderer Beruf in ihrer Familie im Grunde nicht in Frage kam. Sie interessierte sich überhaupt nicht für den Beruf und hatte sich so eingerichtet, dass sie möglichst viel reisen konnte. Das Reisen liebte sie mehr als ihren Mann, was der nach zehn Jahren Ehe herausfand, sich von ihr trennte und einen unverhältnismäßig großen Anteil ihres Vermögens behielt. Dabei war die Trennung wohl nicht allein auf das Reisen zurückzuführen, sondern auch auf die Tatsache, dass sie ihrem Mann nicht immer treu gewesen war.
Nach der Scheidung schränkte Nóra sich ein, veräußerte das Einfamilienhaus in Fossvogur und kaufte eine Wohnung in Grafarholt – die Differenz wanderte in ihre Reisekasse.
Sie hatte schon angefangen zu reisen, als sie noch auf der Uni gewesen war. War am liebsten alleine gefahren, mit wenig Gepäck und durch ferne Länder.
Es hatte ihr nie gereicht, auf einer kleinen Insel im Nordatlantik zu leben, und sie hatte ihr ganzes Leben lang ein starkes Bedürfnis gehabt, sich die Welt anzuschauen, fremde Kulturen und Landschaften kennenzulernen. Hatte jede Gelegenheit zum Reisen genutzt.
Erst hatte sie sich auf Europa beschränkt, doch mit zunehmenden finanziellen Mitteln waren aufregende Länder in Asien, Afrika und Südamerika hinzugekommen. Nóra hatte auf jedem Kontinent ihre Lieblingsorte und bemühte
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