Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
Mülldeponie.«
Ich durfte ihn begleiten und hoffte, dass er seine Meinung ändern würde.
Ich musste dieses Tagebuch unbedingt lesen.
Das Buch war das Einzige, was mir einen Einblick in Oma Ísbjörgs Gedankenwelt geben konnte.
Die Sekunden krochen dahin wie bei einer Zeitlupe im Fernsehen, als Opa den Sack nahm und in den Müllcontainer warf.
Es war so endgültig, so brutal.
In den folgenden Jahren sah ich das Ereignis immer wieder vor mir, versuchte mir vorzustellen, was in dem Tagebuch gestanden hatte, das nun für immer fort war.
7 . Kapitel
Die Nachricht von dem Leichenfund hatte sich in Windeseile übers Internet verbreitet. Nur, dass das Opfer seinen Wohnsitz in Siglufjörður gehabt hatte, war noch nicht bekannt geworden. Dort ging das Leben seinen gewohnten Gang.
Es würde ein schöner Tag werden, und die Wettergötter hatten nicht die Absicht, düstere Wolken aufzuziehen, nur weil ein Einwohner des Orts eines grausamen Todes gestorben war.
Ari hatte sich mit Hákon Halldórsson, dem Vorarbeiter beim Bau des Héðinsfjörður-Tunnels, in einem Café am Yachthafen verabredet. Laut Tómas’ Aussage – der Mann war ein wandelndes Lexikon über die Ortseinwohner – war Hákon vor allem dafür bekannt, Sänger der Band
Die Heringsjungs
gewesen zu sein. Besagte Jungs hatten zwar ihre Hochphase erlebt, als der Hering schon fast wieder verschwunden war, waren aber ziemlich beliebt gewesen, hatten auf Bällen im ganzen Land gespielt und drei Platten produziert. Hákon war inzwischen über fünfzig, seiner Rolle als Popstar nie ganz entwachsen und kutschierte, bei gutem Wetter, mit einem alten roten MG -Sportwagen durch die Gegend, den Ari schon mal im Ort gesehen hatte. Ein schönes Auto.
Hákon stand auf, als Ari herankam. Er war stämmig, hatte eine beachtliche Wampe und trug eine schwarze Lederjacke, Wollpulli und Jeans. Offenbar genoss er den Sommer mit Vorsicht und wollte sich nicht von dem beißenden Nordwind ärgern lassen. Der kleine Mann mit den kurzen grauen Haaren und dem struppigen Bart begrüßte Ari mit festem Handschlag und sagte fröhlich: »Ist das nicht der Pfarrer?«
»Nein«, antwortete Ari seufzend. »Ich heiße Ari Þór.«
Hákon nahm wieder Platz, er saß draußen an einem Tisch mit einer dampfenden Tasse vor sich, und bot Ari an, sich zu setzen.
»Schon gut, schon gut, entschuldigen Sie. Ich dachte, Sie wären Theologe. Was gibt’s denn?«
Ari hatte ihm am Telefon gesagt, dass er mit ihm über einen seiner Mitarbeiter reden wolle.
»Es geht um den Leichenfund in Reykjaströnd im Skagafjörður.«
Hákon ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, schien rau und abgehärtet zu sein wie die Berge, an denen er aufgewachsen war. Ein Mord reichte nicht, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Davon haben Sie doch bestimmt schon gehört, oder?«, fragte Ari.
»Doch, doch, das war ja heute Morgen in den Nachrichten. War es nicht Mord? Schien mir jedenfalls so.« Hákon blieb immer noch gelassen. »War das etwa einer von meinen Leuten?«, fragte er dann mit einem Hauch von Besorgnis in der Stimme.
»Ja«, antwortete Ari knapp. »Ich möchte Sie bitten, diese Informationen erst einmal für sich zu behalten. Wir wollen den Namen des Toten noch nicht bekanntgeben.«
Hákon nickte, aber Ari wusste genau, dass der Name in Nullkommanichts bei der Presse durchsickern würde, ob nun durch Hákon oder jemand anderen.
»Er hieß Elías … Elías Freysson.«
»Elías, ach, soso.« Hákon wirkte erstaunt oder jedenfalls so erstaunt, wie er es sich zugestand. »Und ich dachte immer, der wäre ein guter Junge.«
»Auch gute Jungen werden umgebracht.«
Hákon murmelte etwas in seinen Bart. »Wenn Sie meinen.«
»Hat er lange bei Ihnen gearbeitet?«
»Er hat genau genommen nicht bei mir gearbeitet«, sagte Hákon beiläufig. »Elías war selbständig, hat seit ungefähr eineinhalb Jahren zusammen mit uns am Tunnel gearbeitet. Sie waren zu viert, er und drei Jungs, die bei ihm arbeiten … Jungs, sage ich, dabei war einer von ihnen älter als Elías und die anderen.«
Ari hatte die wichtigsten Informationen über den Verstorbenen eingeholt, bevor er zu dem Treffen mit Hákon gegangen war. Elías war vierunddreißig gewesen, wohnhaft in der Hvanneyrarbraut in Siglufjörður, unverheiratet und kinderlos.
»Soweit ich weiß, wohnte er hier im Ort, in der Hvanneyrarbraut, stimmt das?«, fragte Ari mit förmlichem Tonfall.
»Doch, doch, das stimmt. Er hat da eine Wohnung
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