Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
einfiel, war eine Mischung aus Ehrlichkeit und Notlüge. »Ich heiße Ísrún«, setzte sie an. Vielleicht kennen Sie mich aus dem Fernsehen, hätte sie gerne gesagt, merkte aber, dass das nicht nötig war. »Wir machen einen kleinen Beitrag über Elías Freysson, der vorletzte Nacht gestorben ist. Wie Sie vielleicht wissen, hat er sich für eine Wohltätigkeitsorganisation hier in Nordisland engagiert, und wir würden gerne durch Gespräche mit einigen seiner Freunde und Bekannten an ihn erinnern.«
Die Frau konnte ihre Verwunderung nicht verbergen, blieb wie erstarrt in der Türöffnung stehen und brachte kein Wort heraus.
»Ich habe schon mit seinen Kollegen Svavar Sindrason aus Dalvík und Páll Reynisson, der hier im Ort wohnt, gesprochen und gehe davon aus, dass Logi auch etwas über seinen verstorbenen Freund sagen will, oder was meinen Sie?«
»Äh … doch, bestimmt«, antwortete sie zaghaft.
»Ist er zu Hause?«
»Nein … er arbeitet. Aber er müsste bald nach Hause kommen«, murmelte sie.
»Ausgezeichnet. Dürfte ich hier auf ihn warten? Der Kameramann ist auf dem Weg, er will mich hier treffen.« Dann stellte sie sich noch einmal vor und streckte ihre Hand aus: »Ich heiße Ísrún.«
»Ja, entschuldigen Sie, Móna.« Die Frau versuchte zu lächeln und nahm Ísrúns Hand. »Äh, wollen Sie nicht reinkommen?«
»Vielen Dank.« Das ließ Ísrún sich nicht zweimal sagen. Sie folgte der Frau in eine geräumige Küche. Auf dem Küchentisch stand ein Milchglas neben einer aufgeschlagenen Zeitung.
»Bitte setzten Sie sich. Möchten Sie etwas trinken? Ich habe leider keinen frischen Kaffee, ich trinke im Moment keinen.« Sie legte die Hand auf ihren Bauch.
»Ein Glas Milch wäre nett«, sagte Ísrún. Unvermittelt musste sie an die alte Katrín in Landeyjar denken, an die Milch, die sie dort bekommen hatte. Diesen Tag wollte sie am liebsten vergessen. »Wie weit sind Sie denn?«
»Im fünften Monat«, antwortete Móna. Sie holte eine Tüte Milch und ein Glas für Ísrún und setzte sich dann an den Küchentisch. Ísrún nahm ihr gegenüber Platz und musterte die Küche. Die Einbauschränke waren strahlend weiß und die Ablageflächen aus schwarzem Marmor. Der Küchentisch war ebenfalls schwarz und die Stühle weiß. An der Wand hingen Schwarzweißfotos. Das schmutzige, bunt durcheinandergewürfelte Geschirr im Spülbecken passte nicht zu der gestylten Einrichtung. Die meisten Küchengeräte mussten in den Schränken verstaut sein, es stand kaum etwas herum. Nur ein paar weiße Kaffeetassen in einem kleinen Regal über der exklusiven Kaffeemaschine.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Ísrún dann.
Móna nickte und lächelte dumpf, anstelle einer Antwort.
»Haben Logi und Sie viele Kinder?«
»Äh … Logi und ich?«, entgegnete sie laut und sagte dann so entschieden, dass Ísrún sich fast angegriffen fühlte: »Nein, das ist Jökulls Kind.«
»Jökulls?«
»Ja, Logi wohnt im ersten Stock. Ich bin die Frau von Jökull, seinem Bruder.«
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte Ísrún verlegen. »Das war mir nicht klar. Ich hätte mich besser vorbereiten sollen.« Sie lächelte, um die Stimmung zu lockern, kam aber nicht richtig damit durch. »Ist es Jökulls und Ihr erstes Kind?«
»Ja.«
»Tja, also, manche fangen eben erst spät mit Kindern an – und andere gar nicht, wie ich zum Beispiel.«
Móna schwieg und schaute in das Milchglas.
Die Stille war erdrückend, bis Ísrún schließlich sagte: »Hat Jökull auch für Elías gearbeitet?«
»Nein, ganz sicher nicht. Er arbeitet in der Sparkasse«, sagte sie mit klarer Stimme.
»Stammen Sie beide von hier?«
»Ja.«
»Stolze Einwohner, wie ich sehe.« Ísrún schaute zu den Schwarzweißfotos an der Wand, die anscheinend alle von Siglufjörður waren, Landschaftsfotos und alte Bilder vom Leben im Ort.
»Kann man sagen. Wann kommt denn dieser Kameramann?«, fragte sie ungeduldig. »Soll ich Logi anrufen? Kann gut sein, dass er länger bleibt als geplant.«
»Es eilt nicht«, entgegnete Ísrún. Sie wollte von Móna mehr über Elías erfahren und hatte noch im Ohr, dass Nóra erzählt hatte, er habe bei Logi ein Zimmer gemietet, bevor er zu ihr gezogen sei. »Was machen Sie denn beruflich?«
»Ich arbeite bei der Stadtverwaltung. Bin jetzt in Mutterschutz, auf ärztlichen Rat. Die Schwangerschaft war bisher nicht gerade leicht.« Sie seufzte.
»Tja, das kommt vor. Aber so lange dauert es ja nicht mehr.«
»Ja, das stimmt«, sagte sie
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