Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
lassen. Ihr ein winziges bisschen Hoffnung geben.
Eine Hoffnung, die jedoch allmählich verblasste.
Er musste eine Entscheidung treffen.
Svavar hatte kein schlechtes Gewissen, weil er zusammen mit Elías den Auftrag angenommen hatte, für Geld eine junge Frau nach Island zu bringen, die gefügig gemacht werden sollte.
Das passiert ohnehin, ob es mir nun gefällt oder nicht
, hatte er gedacht.
Wenn ich nicht dabei mitmache, dann macht es eben jemand anders.
Doch jetzt war diese junge Frau in Svavars Kopf plötzlich zu einem echten Menschen geworden, obwohl er sie nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, zu einem Menschen, der irgendwo saß und auf den Tod wartete.
Doch sein Instinkt, sich selbst zu schützen, war stark. Man ist sich selbst am nächsten. Er konnte sich kaum vorstellen, sie zu retten, wenn er dafür ins Gefängnis käme, wenn seine Träume von einem besseren Leben in einem wärmeren Land dann einfach verpufften.
Svavar hatte sich hingelegt, aber nicht einschlafen können. Jetzt saß er am Fenster und schaute in den Himmel.
Er wusste nicht, wie spät es eigentlich war, hatte sein Handy ausgeschaltet und das Festnetztelefon gekappt. Seit die Journalistin gestern Abend bei ihm gewesen war, hatte er mit niemandem mehr geredet.
Die Journalistin.
Eine Idee schoss wie ein Blitz durch den tosenden Sturm in seinem Kopf.
Er wusste zwar nicht viel über Journalismus, aber ihm war bekannt, dass Journalisten nie ihre Informanten preisgaben. Niemals. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen?
So einfach und doch so perfekt.
Er würde sein Gewissen beruhigen, indem er die Verantwortung auf die Journalistin abwälzte. Sie konnte ihn nicht verraten, musste aber natürlich die Polizei über das arme Mädchen informieren.
Svavar war wieder hellwach, stand von dem Baststuhl auf und suchte nach seinem Handy. Jetzt bekam er Hunger, denn er hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Er konnte sich sogar vorstellen, runter zum Hafen zu spazieren und frischen Fisch zu kaufen. Ein einfaches, perfektes Gericht, das zu dieser genialen Idee passte.
Das Handy lag auf dem Küchentisch. Er schaltete es ein und suchte den Zettel, auf den Ísrún ihre Telefonnummer geschrieben hatte. Währenddessen meldete sein Handy, dass er zahlreiche SMS erhalten hatte. Die meisten waren von Bullen-Palli und dem Vorarbeiter Hákon. Svavar würde sich bei ihnen melden, sobald er Ísrún erreicht hatte. Er war durchaus in der Lage, wieder zu arbeiten.
Dann tippte er ihre Nummer ein.
Ísrún war fast wieder bei der Pension angelangt. Sie stand am Rathausplatz und blickte nach oben zur Kirche. Sie war ziemlich hungrig und hatte sich vorgenommen, in einem Restaurant in der Aðalgata eine Pizza zu essen. Erst wollte sie jedoch die Kirche besichtigen, sich hineinsetzen und ein wenig entspannen. Sie war früher nie besonders gläubig gewesen, doch in den letzten Monaten hatte sich das geändert.
Jetzt hätte sie gerne geglaubt, wusste aber nicht, wie sie nach all den Jahren den Glauben finden sollte. Vielleicht, indem sie öfter in Kirchen ging.
Sie besuchte nicht oft die Messe, setzte sich aber gerne in eine Kirche, wenn sie leer war, setzte sich einfach in eine Bank und genoss die Stille.
Mit langsamen, schweren Schritten erklomm sie die steilen Stufen zur Kirche, nach dem anstrengenden Tag von Müdigkeit übermannt. Die Kirche stand offen, und drinnen war niemand zu sehen.
Ísrún seufzte, als sie in die vorletzte Bank sank. Sie schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken, nicht an den Vorfall in Akureyri vor eineinhalb Jahren, der dazu geführt hatte, dass sie nach Reykjavík gezogen war und wieder in der Redaktion angefangen hatte. Auch an den Besuch bei Katrín in Landeyjar vor einem knappen Jahr wollte sie nicht denken. Nach der Sache in Akureyri hatte sie einen schweren Schock erlitten, es aber durch festen Willen und Verdrängen trotzdem geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Doch der Schock nach dem Besuch in Landeyjar war existenziell gewesen. Wieder hatte sie versucht, sich in die Verdrängung zu flüchten, doch das würde nur kurze Zeit gut gehen, das wusste sie sehr wohl.
Ísrún unterdrückte diese Gedanken sofort, schaffte es aber nicht, den Kopf freizubekommen und sich zu entspannen; stattdessen musste sie an das Gespräch mit Móna denken, dieser deprimierten, erschöpften Frau, die so abwesend wirkte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass etwas an Mónas Aussagen nicht zusammenpasste. Irgendein
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