Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
mit Golfern. Golf spielen hatte etwas Beruhigendes, bot die Möglichkeit, den Stress auf der Arbeit zu vergessen und an der frischen Luft zu sein. Ari und den ganzen Ärger zu vergessen.
Der Golfplatz war wie eine Oase in der Wüste, eine Quelle, an der sie Kraft für den Tag tanken konnte.
Eigentlich hatte es sie überrascht, wie begeistert sie inzwischen vom Golfen war. Letzten Sommer hatte sie an einem Golfkurs teilgenommen und die Technik wiederholt, die sie früher bei Kursen mit ihren Eltern gelernt hatte. Als es im Frühling wärmer geworden war, hatte sie die Golfschläger wieder hervorgeholt und war nun oft auf dem Golfplatz anzutreffen, meistens frühmorgens.
Während des Medizinstudiums hatte sie fast immer nur gebüffelt, aber jetzt war der Drang, sich zu bewegen und fit zu halten, stärker. Die Arbeit war stressiger, als sie erwartet hatte, im Vergleich dazu war das Lernen das reinste Kinderspiel gewesen. Vielleicht war ihr neu erwachtes Interesse am Sport auf diese zusätzliche Belastung zurückzuführen, wobei sie tief im Inneren ahnte, dass Golf vielmehr einfach nur ein Sport war, den Ari nicht ausstehen konnte. Er hatte sich immer über ihre Freunde und Bekannte lustig gemacht, die Golf spielten, und das Testbild im Fernsehen spannender gefunden als Übertragungen von Golfturnieren.
Kristín konnte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: sich sicher sein, dort nicht auf Ari zu treffen, und Zeit mit einem Hobby zu verbringen, das er nicht mochte.
Sie hatte seit etwa eineinhalb Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen. Seit er ihr erzählt – oder zumindest angedeutet hatte –, dass er sie mit irgendeinem Flittchen in Siglufjörður betrogen hatte. Kristín hatte allerdings nicht genauer nachgefragt, und telefonierte im Übrigen nach dem Gespräch mit Ari gar nicht mehr mit diesem Handy: es war nämlich zersplittert, als sie es auf den Boden geschleudert hatte. Dabei war sie normalerweise so ruhig und ausgeglichen. Dieses Betrugsgeständnis war wie ein Schlag ins Gesicht, und sie war wahnsinnig enttäuscht. Ihre Beziehung war zwar angespannt gewesen, nachdem Ari weggezogen war, ohne sich vorher mit ihr zu beratschlagen, doch im Grunde hatte sie sich immer vorgestellt, ihr Leben mit ihm zu verbringen, in einem hübschen Reihenhaus in einem Vorort mit ein paar Kindern und vielleicht einem Hund. Kristín versuchte sich einzureden, dass sie den Schock überwunden hätte und wieder im Gleichgewicht sei, obwohl sie wusste, dass das nicht stimmte. Das würde länger dauern. Ari hatte immer wieder versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Unzählige Anrufe und E-Mails, die sie nie beantwortet hatte. Er hatte es nicht anders verdient.
Sie hätte nie geglaubt, dass Liebeskummer so schlimm sein konnte. Eigentlich war sie froh, Ari nicht näher nach seiner Beziehung zu diesem Mädchen gefragt zu haben – es war besser, nichts darüber zu wissen. Andererseits ging ihre Phantasie oft mit ihr durch, wenn sie daran dachte. Sie verspürte einen großen Hass auf diese Frau, die sie nie gesehen hatte und deren Namen sie nicht kannte.
Ansonsten verlief Kristíns Leben in geregelten Bahnen. Arbeiten, arbeiten und wieder arbeiten.
Sie spielte das letzte Loch Par. Das einzige Par des Tages. Sie hatte schon bessere Tage gehabt.
Langsam gewöhnte sich Kristín an das Leben in Akureyri. Als sie sich nach dem Gespräch mit Ari wieder einigermaßen berappelt hatte, hatte sie sofort beim Landeskrankenhaus angerufen und versucht, ihren Sommerjob zurückzubekommen, dabei hatte sie gewusst, dass die Stelle bereits an ihre Freundin vergeben worden war. Sie, das Großstadtkind, musste sich damit abfinden wegzuziehen und suchte sich eine kleine Wohnung in Akureyri. Sie kannte dort so gut wie niemanden – nur einen jungen Mann, Natan, ein gemeinsamer Freund von Ari und ihr, der in Akureyri studierte. Sie trafen sich ab und zu auf einen Kaffee, und Kristín hatte ihn in Verdacht, Ari Informationen über sie weiterzugeben, sagte aber nichts dazu. Es war nur gerecht, wenn Ari erfuhr, wie gut es ihr ging und dass sie längst über ihn hinweg war. Das stimmte natürlich nicht ganz, aber sie bemühte sich und knüpfte große Hoffnungen daran, dass der Mann, den sie auf dem Golfplatz kennengelernt hatte, ihr dabei helfen würde. Drei Wochen war es jetzt her, als sie sich beim ersten Abschlag begegnet waren. Das war um sieben Uhr morgens, und Kristín hatte nicht damit gerechnet, andere Golfer auf dem Platz zu treffen. Doch er war
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