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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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er damals mit Angela in das Haus gezogen war, hatte er die Wände nur bis zur halben Höhe gestrichen, weil er sich auf keine Leiter traute. Schließlich hatte Angela, damals im siebten Monat schwanger mit dem Unfall, den Rest übernommen. «Gleich hast du’s geschafft, Kumpel», flüsterte er und streckte eine Hand nach Ginos Anorak aus, um ihn das letzte Stück nach oben zu ziehen.
    Gino blieb kurz platt auf dem Bauch liegen, dann drehte er sich auf den Rücken. «Gib mir mal so ein Gewehr, damit ich dich abknallen kann, du Wichser. Erst das Flugzeug und jetzt auch noch das. Seit wir aus der City Hall raus sind, hast du es auf mein Leben abgesehen.»
    «Bleib auf dem Bauch liegen, sonst plumpst du mir noch über den Rand wie eine riesige Billardkugel.»
    Von unten zischte der Chief herauf, sie sollten gefälligst den Mund halten, dann verschwand er zwischen den Bäumen.

[zur Inhaltsübersicht]
KAPITEL 48
    M oose war fünfzehn Jahre jünger und vierzig Kilo leichter gewesen, als er zum letzten Mal einem zweibeinigen Lebewesen im Nahkampf gegenübergestanden hatte, doch seine Augen waren immer noch gut, und er hatte sich seine alten Fähigkeiten bewahrt. Viele magere Jahre hindurch hatte er die Familie mit Jagen durchgefüttert, und auch heute noch war es für ihn Ehrensache, einen Großteil des Jahres im Wald zu verbringen. Für ihn war die Jagd kein Sport. Sie war ein Ritual, eine heilige Tradition, die sich aus dem Respekt vor den Tieren speiste, die der Schöpfer seinem Volk geschenkt hatte.
    In den letzten Jahren hatte er hin und wieder organisierte Führungen für das Hotel geleitet, aber das war alles. Ihm war es lieber, von der Natur zu leben, als irgendwelche unfähigen weißen Sonntagsjäger dabei zu unterstützen, die sanftmütigen Seelen zu quälen, die das Land bevölkerten. Als man dann mit Pfeil und Bogen zu jagen begann, hatte er sich endgültig gegen einen der gutbezahlten Posten im Hotel entschieden. Er konnte einfach nicht begreifen, worin für einen Chimook, der nichts von der Tradition wusste, der Reiz dieser höchst anspruchsvollen Art des Jagens liegen sollte.
    Die Bogensaison fängt eben früher an
, hatte der Chief ihm einmal erklärt.
Und die Leute fühlen sich dadurch wie echte Männer, selbst wenn sie sich dabei blamieren.
    Trotzdem konnte Moose nicht mit ansehen, wie diese Möchtegern-Jäger mit ihren superteuren Compound-Bögen einem Rehbock achtlos ihre handgearbeiteten Pfeile in die Flanken oder in den Bauch schossen. Das arme Tier rannte noch Kilometer weiter und musste schreckliche Schmerzen erdulden, bis es endlich zusammenbrach und seinen Wunden erlag.
    Moose holte tief Luft, verbannte diese Überlegungen aus seinem Kopf und konzentrierte sich auf das, was vor ihm lag. In der indianischen Tradition teilte sich die Menschheit in zwei Gruppen: diejenigen, die alles Leben ehrten, und diejenigen, die das nicht taten. Die Feinde, die jetzt in das Reservat eingedrungen waren, ehrten das Leben offensichtlich nicht, das machte es leichter für ihn. Es bedeutete, dass sie nicht verdient hatten zu leben und dass er sie töten durfte.
    Von seinem Baumsitz aus glitt sein Blick über den verschneiten Wald, dann ließ er sich im Schneidersitz nieder und streichelte das glatte Holz des Bogens, den sein Urgroßvater vor fast hundert Jahren eigenhändig geschnitzt hatte. Moose stellte seine Pfeile selbst her und arbeitete so lange daran, bis sie ganz perfekt waren. Die Flugbahn musste vollkommen sein, die Spitze scharf und makellos, denn nur ein glatter Schuss ins Herz zählte. Der Tod musste sofort eintreten und so schmerzlos wie möglich sein; nur dann war es ein guter Tod. In all den Jahren hatte Moose weder Mensch noch Tier je verwundet, nicht einmal im Krieg. Ob er nun mit dem Gewehr oder mit seinem Bogen schoss, er traf immer ganz genau, und darauf war er stolz.
    Nach den vielen Stunden, die er nun schon reglos im kalten Dämmerlicht ausharrte, machten sich seine Beine bemerkbar. Langsam und vorsichtig erhob er sich – es war kaum wahrzunehmen, dass er sich überhaupt bewegte. Nachdem er eine weitere halbe Stunde reglos dagestanden hatte, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ein letzter, verirrter Strahl der untergehenden Sonne traf auf den gedrungenen Lauf einer AK -47.
    Jetzt sah er auch den schattenhaften menschlichen Umriss, hörte das Knirschen schwerer Stiefel auf dem vereisten Waldboden. Ein echter Krieger würde sich niemals auf diese Weise bemerkbar machen, nie

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