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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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ein sanftes, weiches Kissen für die langen, friedlichen Stunden gemeinsamer späterer Lebensjahre. Und diese Frau trug ihr Gewicht wie ein Ehrenzeichen, sie fühlte sich so sichtlich wohl in ihrer Haut, dass sie sich mit einer aufreizenden Sinnlichkeit bewegte, wie eine Aufforderung zur Anbetung.
    Er beobachtete, wie sie sich ein paar wiegende Schritte vom Wagen entfernte und eine Hüfte vorschob. Sie trug ein interessantes federbesetztes Kleid, was der Chief als gutes Zeichen nahm, und bewegte sich auf ihren hochhackigen Stiefeln mit traumwandlerischer Sicherheit und perfekter Balance über den rutschigen, vereisten Untergrund. Sie war ebenso selbstsicher wie Noya und sich ihrer Wirkung voll und ganz bewusst.
    «Welcher der Herren würde sich denn bereitfinden, eine Dame zu eskortieren?», rief sie, und ihr Südstaatenakzent sorgte dafür, dass Claude sich fast überschlug, die Stufen hinabzustürmen und ihr ritterlich den Arm zu bieten.
    Das nächste Lebewesen, das dem Wagen entstieg, war ein eigenartiger Hund mit so kunterbunt gemischtem Genmaterial, dass er glatt als Reservats-Straßenköter hätte durchgehen können. Auch das sah der Chief als gutes Zeichen. Voller Begeisterung flitzte der Hund von Baum zu Baum, und seine großstadtgewohnten Pfoten schlitterten über den eisglatten Boden. Das war das Wundersame an diesem Verwandten des Wolfes. Ein Hund war zuallererst immer Hund und wollte auch nichts anderes sein. Schließlich blieb er vor einem Baum stehen, hob auf ulkige Weise das Bein und nahm dann Gino und Magozzi aufs Korn.
    Ohne rechts und links zu sehen, hielt er auf die beiden zu. Er kraxelte die rutschigen Stufen hinauf, um schließlich an Gino hochzuspringen, ihm die Vorderpfoten auf die Schultern zu legen und in Ermangelung eines ordentlichen Schwanzes mit dem ganzen Körper zu wedeln.
    Inzwischen waren auch die verbliebenen Insassen ausgestiegen. Zunächst eine umwerfend schöne Frau: Das musste Grace MacBride sein. Man sah mit einem Blick, dass Magozzi völlig in ihrem Bann stand. Die Veränderung, die sich in seiner Haltung und seiner Atemfrequenz vollzog, war für jeden, der Augen im Kopf hatte, so offensichtlich wie eine Neonreklame. Hinter ihr kamen zwei Männer, die sich in Körperbau, Haarfarbe und Haltung so grundlegend unterschieden, als stammten sie von zwei verschiedenen Planeten. Der breite bärtige Mann war eine standhafte Seele, der große, magere hingegen eine verlorene und in jeder Hinsicht so ambivalent, dass der Chief sich fragte, ob er nicht ein Two-Spirit war, ein Körper, in dem sowohl eine männliche als auch eine weibliche Seele wohnte.
    Grace blieb vor der untersten Stufe stehen und sah Magozzi unverwandt an. Schließlich wanderte ihr Blick weiter zu den beiden älteren Männern, die sie durch ihre bloße Anwesenheit hier in Gefahr brachten. «Wir bleiben nicht, Magozzi.»
    Der letzte Mann, der aus dem Wagen gestiegen war, nickte Gino und Magozzi kurz zu, achtete nicht weiter auf den hochgewachsenen Texaner, der ohnehin völlig mit Annie beschäftigt war, und sah den Chief an, dem dieses Land und dieser Boden ins Gesicht geschrieben standen. «John Smith», stellte er sich vor. «Magozzi und Gino haben Ihnen sicher bereits erzählt, dass es riskant ist, uns hier zu haben. Wir bleiben nur so lange, bis wir den Detectives erzählt haben, was sie wissen müssen.»
    «Chief Bellanger von der Stammespolizei. Für uns gibt es keinen sichereren Ort als diesen, und er gehört jetzt auch Ihnen. Willkommen.»
    John schüttelte den Kopf, dann wandte er sich an Magozzi. «Wo können wir ungestört reden?»
    «Kommen Sie herein», sagte der Chief. «Alle. Wir wissen, was los ist, wir kennen die Gefahren. Und wir werden nicht zulassen, dass Sie zwei Frauen wieder von einem Ort wegbringen, wo sie Schutz finden können.»
    Mit gerunzelter Stirn sah John zu Magozzi hin. «Sie haben es ihnen erzählt?»
    «Alles, was wir wissen.»
    «War das klug?»
    «Es gab gute Gründe dafür. Die beiden können also auch hören, was Sie zu sagen haben.»
    «Boozhoo.»
Harley hievte seinen massigen Körper wie einen Felsbrocken auf die Veranda.
    Der Chief legte den Kopf schief. «Sie sprechen Ojibwa?»
    «Gerade so viel, um mal ein Essen umsonst zu kriegen. Ich habe ein paar Freunde in Bad River.»
    «Dann haben Sie auch hier welche. Bitte kommen Sie herein.»
    Roadrunner setzte seine Quadratlatschen vorsichtig auf die erste schmale Verandastufe und faltete seine langen Beine zusammen, um sie zu erklimmen.

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