Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
nicht finden konnte,
hat er mein Fahrrad zur Hauptpost gebracht, damit es keiner aus seiner Einfahrt
klaut. Er konnte nämlich nicht mehr auf mein Fahrrad aufpassen, weil er seinen Zug
nach Nürnberg erreichen musste.«
Wolfram
Tannenberg ließ das Geplapper kommentarlos über sich ergehen. Es war nichts Neues
für ihn, dass ein gerade Verhafteter derart gesprächig auf seine Festnahme reagierte.
Vor allem die in flagranti ertappten Täter produzierten aus purer Aufregung oft
einen nicht enden wollenden Redeschwall. Aber dieses scheinbar groteske Verhalten
dauerte meist nur wenige Minuten an und wurde von tiefer Depression und Verzweiflung
abgelöst. Werner Kollmenter brach bereits im Auto psychisch zusammen, denn sein
schlechtes Gewissen überspülte ihn wie ein Tsunami.
Schließlich
wusste er ganz genau, was er getan hatte.
Mit einem schadenfrohen Grinsen
drückte der Spider auf den Schalter und löschte das Licht. Bevor er die Eisentür
ins Schloss zog, lauschte er noch einmal angestrengt in den Bunker hinein.
Das leidvolle
Stöhnen seiner Opfer löste in ihm ähnlich euphorische Emotionen aus, wie bei einem
Konzertbesucher der Genuss eines Spitzenorchesters. Die Symphonie der Schmerzlaute
jagte ihm einen wohligen Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter. Während sich
seine Erregung steigerte und das Blut in seine Genitalien schoss, brummte er wie
ein brünstiges Tier.
»Du perverses
Schwein«, schrie plötzlich eine der gefesselten Frauen.
Er fuhr
zusammen, drehte sich auf dem Absatz um und wollte in die Dunkelheit losstürmen.
Sofort bestrafen!, schoss es ihm durch den Kopf. Doch gleich darauf hatte die rationale
Abteilung seines Gehirns wieder die Macht an sich gerissen.
»An eurer
Stelle würde ich meine Kräfte schonen und die letzten Stunden meines kleinen, beschissenen
Schlampenlebens genießen«, brüllte er zurück. »Denn sobald ich die Königin gefangen
habe, schlägt euer letztes Stündlein. Und ich verspreche euch, dass es ein ausgesprochen
qualvolles werden wird.«
Der Entführer
donnerte die schwere Feuerschutztür in den Metallrahmen und stapfte durch den Flur.
Vor dem Verwaltungsgebäude schaute er sich nach allen Richtungen um, schließlich
war es Ende September und somit Pilzsaison. Die Witterung war ideal für die Jagd
auf Speisepilze. In der letzten Nacht hatte es stark geregnet, und über Tag herrschten
in diesem abgelegenen Waldgebiet zweistellige Plusgrade und Sonnenschein.
Auf seinem
Spaziergang zu dem in einem Forstweg abgestellten Kleintransporter entdeckte er
eine Handvoll dottergelber Pfifferlinge. Normalerweise hätte er sie abgeschnitten
und sie gemeinsam mit Steinpilzen, Maronenröhrlingen und einem Ziegenbart in ein
Schlemmermenü verwandelt. Doch dazu fehlte ihm gegenwärtig die Zeit, schließlich
musste er in die Stadt fahren und sich in der Nähe des Stadtparks auf die Lauer
legen.
Mit schweißnassen
Händen steuerte er sein Auto von dem nicht einsehbaren Waldweg auf die asphaltierte
schmale Straße, die von dem ehemaligen Militärgelände zur B 37 führte. Seine Anspannung
steigerte sich ins schier Unerträgliche.
Obwohl er
sein Vorgehen exakt geplant hatte und bislang auch reibungslos durchführen konnte,
hatte er große Angst, dass ein aufmerksamer Förster, Jäger oder Pilzsammler quasi
in letzter Minute das Finale Grande verderben könnte.
Erst als
er nach einigen Kilometern den Waldparkplatz am Hochspeyerer Stich erreichte, reduzierte
sich seine Anspannung merklich. Er öffnete das Seitenfenster und schnaufte erst
einmal tief durch. Danach trocknete er die feuchten Hände an seiner Hose ab und
wischte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn.
Hinter mehreren
Militärfahrzeugen reihte er sich in den Verkehr ein und folgte dem Konvoi die Anhöhe
hinunter zu dem in einem breiten Talkessel ausgerollten Stadtgebiet. Als er die
Panzerkaserne und kurz darauf die Daenerkaserne passierte, hatte er immer die Tachonadel
im Blick, schließlich wusste er aus leidvoller Erfahrung, dass auf dieser zweispurigen
Straße häufig Radarfallen aufgebaut wurden. Eine Fahrzeugkontrolle war so ziemlich
das Allerletzte, was er gerade gebrauchen konnte.
Hinter dem
Hauptfriedhof bog er in die Donnersbergstraße ab, ließ den Volkspark links liegen
und schwenkte an der Jugendverkehrsschule in die Barbarossastraße ein. Bei seiner
Fahrt durch die Logenstraße bedachte er das neue Polizeipräsidium und das Justizzentrum
am Bahnhof mit einem schelmischen
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