Todesopfer
Kopfhörer und eine betrübte Miene aufgesetzt. Er nahm den Kopfhörer ab. Seine Züge hellten sich bei meinem Anblick auf, bis er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Ich hielt die Tablettenpackung hoch, die ich aus seinem Waschbeutel gefischt hatte.
»Willst du was sagen?«
Er stand auf. »Wie wärâs mit âºEs tut mir leidâ¹?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht. Bei Weitem nicht.« Ich trat ins Zimmer und überlegte, wie viel ich ihm wohl antun könnte, ehe entweder er mich überwältigte oder wir von Constable
Jane gestört wurden. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie das letzte Jahr für mich gewesen ist?«
Duncan, das musste man ihm lassen, konnte mir nicht länger in die Augen sehen.
»Ich muss an jedem einzelnen Arbeitstag schwangere Frauen ansehen, mit ihnen reden, sie anfassen. Ich bin gezwungen, mir anzuhören, wie sie sich über Ãbelkeit, Rückenschmerzen, Müdigkeit und Leistenbeschwerden beklagen, bis ich mich auf meine Hände setzen muss, damit ich sie nicht ohrfeige, damit ich sie nicht anschreie, hör auf, hier rumzuflennen, du dämliche Zicke, sei dankbar für das, was du hast. Ich muss jedes Neugeborene anfassen, seinen festen kleinen Körper halten, und jedes Mal bin ich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, mit ihm davonzurennen, und dem, es aus dem gottverdammten Fenster zu schmeiÃen. Jedes Mal, wenn ich einer Mutter ihr neugeborenes Kind in den Arm lege, fühlt es sich an, als wäre mir das Herz entzweigerissen worden. Ich möchte auf dem Boden des KreiÃsaals zusammenbrechen und heulen, warum, warum, warum nicht ich? Wieso kann jede andere verfluchte Frau auf der Welt das hinkriegen, nur ich nicht?«
Als ich fertig war, brüllte ich, und ich glaubte, Bewegung am Ende des Flurs zu hören. Duncan konnte mich noch immer nicht ansehen, doch was ich in seinem Gesicht las, sah aus wie Furcht. Ich glaube, ich war über mich selbst erstaunt, sogar erschrocken. Zwei Jahre des Unglücklichseins, des Unverständnisses, dass ich nicht schwanger werden konnte, kristallisierten sich an diesem Abend für mich heraus, und zum ersten Mal konnte ich alles in Worte fassen. Duncan hatte sich von mir abgewandt und stützte sich aufs Fensterbrett. Ich folgte ihm um das Bett herum und zwang mich, meine Stimme zu dämpfen. Sie klang allerdings gar nicht mehr wie meine Stimme. Sie klang bösartig.
»Nur dass ich es eben doch kann, stimmtâs? Ich kann Kinder bekommen. Dieser ganze Kummer war vollkommen unnötig. Du brauchtest den Mast nicht anzusägen, Duncan, du hast mich seit über einem Jahr langsam umgebracht.«
Ich warf die Packung nach ihm. Es kam mir lächerlich vor, und
ich schaute mich im Zimmer nach einem gröÃeren Wurfgeschoss um. Zum Glück für uns beide war nichts greifbar. Die Nachttischlampe wirkte ziemlich stabil, doch als mir klar wurde, dass ich zuerst den Stecker herausziehen müsste, verrauchte mein Zorn.
Ich ging zur Tür. Drehte mich dann um.
»Dieser Scheià ist in GroÃbritannien gar nicht zugelassen. Wer hat es dir besorgt? Daddy oder Big Brother? WeiÃt du was? Es ist mir inzwischen vollkommen egal. Und übrigens, ich weiÃ, dass du vorhast, mich zu verlassen, und ich bin Gott scheiÃdankbar dafür.«
Dann ging ich hinaus, knallte die Tür zu und entdeckte Jane oben an der Treppe. Ich verschwand in mein Zimmer und schloss die Tür.
Nun ja, von Schlaf schien keine Rede mehr zu sein, und ich fragte mich, wie ich den Rest der Nacht überstehen solle. Dann stellte ich fest, dass ich Hunger hatte, doch wie Kenn bereits herausgefunden hatte, war in der Küche nichts zu holen. Die Schlafzimmertür ging auf.
»Ich willâs nicht hören«, sagte ich, und mir wurde klar, dass ich mir ziemlich dämlich vorkommen würde, wenn ich mich umdrehen und Constable Jane im Türrahmen vorfinden sollte.
»Es gab einen Grund dafür, dass meine Mutter mich zur Adoption freigegeben hat«, sagte Duncan.
»Das interessiert mich einen ScheiÃdreck«, gab ich zurück und drehte mich noch immer nicht um.
»Sie hatte multiple Sklerose«, fuhr Duncan fort. »Als ich zur Welt kam, war sie bereits krank. Sie hat gewusst, dass es schnell schlimmer werden würde.«
Ich sagte nichts, aber meine Haltung verriet wohl, dass ich zuhörte.
»Ich weiÃ, dass ich das Gen in mir trage«, erklärte
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