Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
seine behandschuhten Finger meine Wange, und ich konnte mich eines Schauderns nicht erwehren. Natürlich bemerkte er es.
    Â»Ich werde wieder fragen.«
    Ich überlegte, ob ich wohl Blut im Gesicht hatte. »Ich maile Ihnen mal die Klinikrichtlinien zum Thema sexuelle Belästigung.«

    Er lachte. »Sparen Sie sich die Mühe. Die habe ich selbst geschrieben.«
    Einen Augenblick lang stand er ganz ruhig da und fixierte mich. Sein warmer, vertrauter Geruch hätte mich beinahe verleitet, näher zu treten, um ihn einzuatmen, seine Kleider zu fassen und an mein Gesicht zu drücken. Doch dann drehte er sich um und ging hinaus, und der Geruch war verschwunden. Ich stellte fest, dass ich zitterte. Die OP-Schwester kam wieder herein und fing an, die Instrumente einzusammeln. Ich dankte ihr und ging, wobei ich inständig hoffte, dass ich auf dem Rückweg in mein Büro nicht Gifford begegnete.
    Ich verbrachte eine Stunde auf den Stationen und beschloss dann, nach meinem Blinddarmpatienten zu sehen. Er war wach, aber noch benommen. Seine Frau saß neben ihm, und sein kleiner Sohn, etwa fünfzehn Monate alt, hockte auf der Bettkante. Er hopste fröhlich auf und ab, während ihn seine Mutter mit der einen und sein Vater mit der anderen Hand festhielten. Angenehm konnte das nicht sein, doch wenn mein Patient nichts dagegen hatte, würde ich auch keine Einwände erheben. Ich untersuchte ihn, wobei mir bewusst war, dass irgendetwas in meinem Hinterkopf rumorte, und war einverstanden, dass er am nächsten Tag nach Hause gehen könnte, vorausgesetzt, er gönnte sich viel Ruhe.
    Dann machte ich kurz in der Cafeteria Halt, besorgte mir einen Schokoladenmuffin und nahm ihn mit in mein Büro. Ich kochte frischen Kaffee, setzte mich an meinen Schreibtisch – und erinnerte mich.
    Die Familie: der Blinddarmpatient, seine Frau und sein kleiner Sohn. Ich wusste, wer Alison Jenner war, nämlich Stephen Gairs zweite Ehefrau, die Stiefmutter seines Sohnes von Melissa.
    Warum zum Teufel stand ihr Name also auf der Liste der Entbindungen auf den Shetlandinseln? Sie hatte doch gar kein Kind bekommen, sondern Melissa. Stephen Gair hatte zugegeben, dass sein Sohn Connor Melissas Kind war. Wie konnte Alisons Name auf einer Liste der Frauen auftauchen, die in jenem Sommer niedergekommen
waren? Und wieso war ihr Eintrag mit dem KT-Kürzel versehen?
    Ich suchte die Liste und sah nach, nur für den Fall, dass ich mich geirrt hatte. Da war sie: Alison Jenner, 40 Jahre alt, hatte am 6. Juni einen Sohn geboren, sieben Pfund und 130 Gramm schwer. Das konnte doch kein Zufall sein, es musste sich um dieselbe Frau handeln. Okay, denk nach! Die Gairs besaßen nur ein Kind. Also hatte Stephen Gair entweder gelogen, als er behauptete, Connor sei Melissas Kind – aber warum um alles in der Welt sollte er das tun? –, oder der Eintrag musste sich auf Melissas Sohn beziehen.
    Noch einmal überprüfte ich die Zahl der Einträge mit dem KT-Zusatz. In jenem Sommer waren es sieben. Ich rief die Liste der darauffolgenden Periode auf, von September 2005 bis Februar 2006, und fand nichts. Dann ging ich zurück zum Winter davor. Nichts. Ich ging noch weiter zurück, zum Sommer 2004. Keine KT-Einträge. Ich ging immer weiter zurück, bis ich wieder welche fand. Im Sommer 2002 gab es fünf Einträge mit dem Vermerk KT dahinter, in verschiedenen Kliniken der Inseln geboren, alles männliche Säuglinge.
    Ich bekam Beklemmungsgefühle, als ich noch weiter zurückging, ganze Jahre auf einmal überprüfte. 2001 war nichts gewesen, auch nicht in 2000. Im Sommer 1999 gab es sechs KT-Einträge. Jungen.
    Am liebsten hätte ich den Computer ausgeschaltet, wäre ins Auto gestiegen und nach Hause gefahren, hätte die Pferde geholt und wäre kilometerweit am Strand entlanggeritten. Oder, noch besser, ich wäre am liebsten in Kenn Giffords Büro hinaufgelaufen, hätte die Tür abgeschlossen und mich bis auf die Haut ausgezogen. Ganz egal, Hauptsache, es lenkte mich von dem ab, was sich mir jetzt offenbarte.
    Ich blieb, wo ich war, und rief immer weitere Listen auf.
    Ich ging bis 1980 zurück, und das war genug. Das Muster war unübersehbar. Alle drei Jahre war die Entbindung von vier bis acht männlichen Säuglingen als KT gekennzeichnet worden.

    Alle drei Jahre stieg die Sterberate der weiblichen Bewohner der Shetlandinseln moderat, aber unverkennbar an. Im Sommer

Weitere Kostenlose Bücher