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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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gerade nach Hause fahren. Duncan und ich gehen essen.«
    Â»Toll, weil, hören Sie, ich wollte Sie etwas fragen. Etwas Persönliches. Ich bin heute Vormittag nicht richtig dazugekommen. Ist jetzt ein geeigneter Zeitpunkt?«
    Â»Natürlich«, antwortete ich. Dies war ein hervorragender Zeitpunkt. Ich war zu so ziemlich allem bereit, zu allem, wobei man nicht denken, sich bewegen oder sprechen musste.
    Sie senkte die Stimme.
    Â»Die Sache ist die, ich muss anfangen, mir Gedanken wegen Danas Beerdigung zu machen. Ich bin ihre nächste Angehörige, verstehen Sie?«
    Das wusste ich; mein freundlicher Kollege aus der Pathologie hatte es mir gesagt. Danas Beerdigung. Ich schloss die Augen und fand mich inmitten einer traurigen, ernsten Menschenmenge wieder. Wir waren in einer alten Kirche, kathedralenartig in ihren Dimensionen, sanft erhellt von hohen weißen Kerzen. Ich konnte den Kerzenrauch riechen und den Weihrauch, der vom Altar herabschwebte.
    Â»Ich weiß, Sie haben sie nicht sehr lange gekannt«, ertönte Helens Stimme aus der Ferne, »aber … ich glaube … na ja, ich glaube, Sie haben einen ziemlichen Eindruck auf sie gemacht. Auf mich übrigens auch. Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn Sie dabei sein könnten.«
    Danas Blumen würden weiß sein: Rosen, Orchideen und Lilien, elegant und schön wie die Frau selbst. Sechs junge Polizisten in makellosen Uniformen würden sie zum Altar tragen. Meine Kehle
begann zu schmerzen, ganz hinten. Tränen rannen mir über die Wangen, so dass der Raum verschwamm. »Natürlich«, sagte ich. »Natürlich komme ich. Danke.«
    Â»Nein, ich danke Ihnen«, erwiderte Helen.
    Â»Wird die Beerdigung in Dundee stattfinden? Haben Sie schon ein Datum ins Auge gefasst?«
    Â»Nein. Ich warte immer noch darauf, dass die Leute von Ihrem Krankenhaus mir sagen, wann sie sie freigeben können. Sie müssen sie eine Weile dabehalten. Das kann ich natürlich verstehen, ich würde das Ganze nur gern anleiern.«
    Und die Vision erstarrte: Die uniformierten Sargträger hörten auf, sich zu bewegen, die Kerzen flackerten und gingen aus. »Sie ist noch hier? In der Klinik?«
    Ich rechnete nicht damit, dass sie mich verstand. Ich konnte mich kaum selbst hören, aber der Wind musste genau im richtigen Moment abgeflaut sein, denn sie tat es doch.
    Â»Nur noch eine Weile. Ich muss Schluss machen. Wir sehen uns.«
    Und weg war sie. Ich blinzelte heftig. Mein Gesicht war nass, mein Blick jedoch klar. Der eben noch verschwommene Raum war auf einmal gestochen scharf. Ich konnte wieder sehen. Ich stand auf. Ich konnte mich wieder bewegen. Und, Gott sei’s gedankt, ich konnte auch wieder denken.
    In diesem Moment erfasste ich die wahre Bedeutung des Wortes Epiphanie, denn ich hatte gerade eine erlebt. Es gab vieles, was ich noch immer nicht kapierte, doch eines verstand ich mit absoluter Klarheit. Tut mir leid, Helen, ich kann leider doch nicht. Ich würde keiner von Danas Trauergästen sein, mir auf die Lippen beißen und die Augen betupfen, während wir zusahen, wie ihr eleganter, schwereloser Sarg zu Grabe getragen wurde. Ich würde nicht an dem altehrwürdigen Ritual teilhaben, den Leib der Erde oder den Flammen zu übergeben. Das war eine Beerdigung, bei der ich ganz bestimmt nicht dabei sein würde.
    Weil Dana gar nicht tot war.

35
    Anderthalb Stunden später fuhr ich zur Fähre nach Yell. Es war noch nicht ganz acht Uhr, doch dies würde die letzte Fahrt des Abends sein. Über uns ballten sich dunkle Wolken, und ein Sturm drohte. Ich saß in meinem Wagen, zitterte trotz meiner Jacke und versuchte, nicht an die Wellen zu denken, die gegen die Fähre schlugen, während sie über den Yell Sound tuckerte. Als der Fährmann kam, um abzukassieren, fragte ich ihn, wie viel Windstärken wir seiner Meinung nach hatten. Windstärke fünf, in Böen sechs, meinte er, und laut Vorhersage würde es im Lauf der Nacht noch mehr werden.
    Und ich wollte nicht darüber nachdenken, was für Stürme noch losbrechen würden, ehe die Sonne aufging. Ich hatte das Gefühl, als fände jede meiner Handlungen zum letzten Mal statt. Kurz vor Verlassen des Krankenhauses, hatte ich zu Hause angerufen, aber Duncan war nicht da gewesen, und ich brachte es nicht über mich, es auf seinem Handy zu versuchen. Ich hatte eine Nachricht hinterlassen, dass ich einen Notfall in

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