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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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danach wurden einige ungewöhnlich kleine Jungen geboren. KT; das hatte nichts mit Keloid-Trauma zu tun, das war ein Ablenkungsmanöver, wahrscheinlich gab es so etwas gar nicht. KT stand für Kunal Trow.
    Ich klickte weiter zurück, schneller und schneller, bis zu frühesten computergestützten Dateien. Die ersten waren 1975 erstellt worden. Ich musste noch weiter zurück.
    Mit ziemlich wackligen Beinen erhob ich mich und ging, so schnell es mein Zustand zuließ, den Flur entlang zum Bettenaufzug. Er kam nach zwei Minuten, und dank irgendeines Wunders war er leer. Ich drückte K für Keller und fuhr hinunter.
    Im Kellergeschoss schien sich niemand aufzuhalten. Ich folgte den Schildern und ging einen von gelegentlichen Glühbirnen erhellten Korridor entlang. Mehrere Birnen waren durchgebrannt. Im Gehen hielt ich nach Lichtschaltern an der Wand Ausschau. Ich wollte hier unten nicht plötzlich im Stockdunkeln festsitzen und verzweifelt nach Schaltern suchen, die nicht existierten.
    Ich erreichte das Ende des Korridors. Krankenhausarchive sind in der Regel ein einziger Wirrwarr, und dieses hier stellte keine Ausnahme dar. Es war in drei Kellerräumen untergebracht. Ich stieß die Tür des ersten auf. Finsternis. Ich tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. Schmutziges Licht flutete den Raum. Ich konnte den Staub in der Kehle fühlen. Alles war in großen braunen Kartons verstaut, die in mehreren Lagen übereinander auf Metallregalen gestapelt waren. Die Etiketten zeigten größtenteils nach vorn. Langsam ging ich an den Regalen entlang, ein Auge stets auf die offene Tür gerichtet. Ich bezweifelte, dass diese Räume häufig aufgesucht wurden. Eine zugeknallte Tür, von außen abgeschlossen, und Tora durfte sich auf ein paar angenehme Tage des Hungers und Schreckens freuen.
    Ich konnte die Rubrik Entbindungen nicht finden und öffnete die Tür des zweiten Zimmers. Grundriss und Einrichtung waren genauso wie beim ersten. Diesmal hielt ich die Tür mit einer Pappkiste
offen. In der dritten Reihe wurde ich fündig. Es dauerte ein paar Sekunden, den Karton zu finden, den ich suchte, und ihn aus dem Regal zu zerren. Darin befanden sich Bücher, mit der Hand ausgefüllte Geburtenverzeichnisse, das handschriftliche Äquivalent der Listen, die ich auf meinem Computer studiert hatte. Ich fand das Jahr, das ich suchte, 1972, und blätterte zum Juli vor. Am 25. dieses Monats, da stand es. Elspeth Guthrie, 35 Jahre alt, auf der Insel Unst, ein Junge, sechs Pfund, 175 Gramm. KT.
    Ich hatte über den Karton gebeugt dagehockt und sank zu Boden, saß mitten im Staub von Jahren, wurde über und über schmutzig, und es war mir gleichgültig.
    Mir wollte nur ein einziger Grund einfallen, warum die Daten einer Entbindung in dem Ausmaß gefälscht werden könnten, dass die Adoptivmutter als leibliche Mutter angegeben wurde: Irgendetwas war bei der richtigen Entbindung so absolut gesetzeswidrig, dass auf gar keinen Fall Nachforschungen angestellt werden durften. Duncans leibliche Mutter war umgebracht worden. Genau wie es mit Melissa geschehen war und all den anderen.
    Alle drei Jahre wurden Frauen von den Inseln gefangen gehalten, bis sie niederkamen – wie Nutztiere – und dann abgeschlachtet. Ich überlegte, ob die Mythen von den Trows irgendeinen Wahnsinnigen erst auf die Idee gebracht hatten, oder ob die Geschichten auf den realen Vorkommnissen auf den Inseln beruhten, von denen man wusste, über die jedoch niemals gesprochen wurde, die niemals offen zur Kenntnis genommen wurden, denn das zu tun, hieße eingestehen, dass man unter Ungeheuern lebte.
    Eigentlich hatte ich vorgehabt, auch die Angaben zu Kenns Geburt herauszusuchen, doch ich brachte es nicht fertig. Genug war genug.
    Ich bemühte mich, auf die Beine zu kommen, legte den Deckel wieder auf den Karton und wuchtete ihn zurück auf das Regal. Dann klemmte ich das Verzeichnis unter den Arm und verließ den Raum, zwang mich mit schierer Willenskraft, nicht zu rennen. Ich löschte das Licht und hielt auf den Fahrstuhl zu. Dann überlegte ich es mir anders und ging in die entgegengesetzte Richtung,
zur Treppe. Dabei befahl ich mir ständig, ruhig zu bleiben, mich ganz gelassen zu geben; niemand wusste, was ich herausgefunden hatte, für einige Zeit war ich in Sicherheit. Ich durfte nur nicht den Kopf verlieren.
    Wie zum Teufel stellten sie das an? Wie lässt man

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