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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Fakten gehalten. Doch die Fakten brachten uns nur ein Stück weiter. Sie brachten uns zu der Erkenntnis, dass Tronal das Zentrum von Vorgängen war, zu denen der illegale Verkauf von Babys gehörte, dass Stephen Gair der Kopf dieser Operation war, unterstützt von Dunn und mehreren anderen, deren Identität es noch festzustellen galt.

    Sie führten uns zu der Annahme, dass Melissa ermordet worden war, um diese Aktion zu tarnen; dass sie auf brillante Weise aus dem Weg geräumt worden war, die normalerweise niemals Verdacht erregt hätte, selbst wenn ihr Leichnam gefunden worden wäre.
    Doch die Fakten erklärten nicht, warum sie auf so seltsame, rituelle Art auf meinem Grundstück begraben worden war, anstatt einfach im Meer versenkt worden zu sein. Sie erklärten nicht, wieso Stephen Gair – von väterlichen Regungen einmal abgesehen  – das enorme Risiko eingegangen war, sie lange genug gefangen zu halten, dass ihr Kind zur Welt kommen konnte. Sie erklärten nicht, wieso Kirstens Ehering auf meiner Wiese gefunden worden war.
    Ebenso wenig konnten die Fakten den regelmäßigen Anstieg der weiblichen Sterberate erklären, ein Jahr später gefolgt von einem Schub männlicher Babys, die fälschlicher- und illegalerweise als die leiblichen Kinder ihrer Adoptivmütter eingetragen wurden.
    Um das alles zu erklären, musste man blindlings glauben, wozu Helen nicht in der Lage gewesen war, wozu Dana jedoch zunehmend tendiert hatte und was mir schließlich gelang. Hier auf den Shetlands lebten die Legenden. Die Trows aus all den Inselgeschichten waren Wirklichkeit, sie lebten inmitten der Menschen und gaben sich als menschliche Wesen aus.
    Natürlich war mir klar, dass, würde man die Körper dieser Trows sezieren, ihr Blut, ihre DNA, ihre Knochenstruktur sämtlichen bekannten medizinischen Tests unterziehen, sie in anatomischer Hinsicht nicht anders wären als andere Menschen männlichen Geschlechts. Doch – und das war der springende Punkt – sie glaub ten , dass sie anders waren als der Rest der menschlichen Rasse, dass sie andere Rechte hatten, andere Pflichten. Dass sie nicht dem gewöhnlichen Gesetz der Menschen unterworfen waren, sondern einem eigenen Kodex, der von ihnen selbst festgelegt, ausgeführt und überwacht wurde.
    Das Boot jagte dahin, während sich völlige Dunkelheit herabsenkte.
Der Kompass zeigte mir, dass ich auf Kurs war. Die Karte verriet mir, dass keine unmittelbaren Gefahren vor mir lauerten, abgesehen davon jedoch war ich blind. Von ein paar blinkenden Seezeichen abgesehen, segelte ich in einer komprimierten, schwarzen Leere dahin. Vage Schatten am fast unsichtbaren Horizont deuteten auf Inseln oder große Felsen hin, doch noch war ich keinem zu nah gekommen. Das Echolot hatte aufgegeben, unfähig, eine Tiefe zu berechnen, die zu gewaltig war, um sie zu messen. Logisch gesehen war das beruhigend, doch ich wurde wirklich nicht gern an die dunklen Klafter unter mir erinnert. Ich segelte weiter und dachte darüber nach, was mich wohl auf Tronal erwartete.
    Â 
    Die Geschichte kennt zahllose Beispiele selbsternannter Herrenrassen. Genau damit musste ich es jetzt zu tun haben: eine Gruppe Männer, die dem Rest der Menschheit überlegen zu sein glaubte. Hier oben, in diesem entlegenen Winkel der Welt, regierten ein paar Dutzend männliche Inselbewohner ihr eigenes privates Königreich. Sie hielten die Zügel von Polizei und Bezirksregierung in Händen, des Gesundheitswesens, der Schulen und der Handelskammer, kontrollierten so jeden Aspekt des Lebens auf den Inseln. Automatisch nahmen sie die besten Jobs für sich in Anspruch, die lukrativsten Verträge, die Mitgliedschaft in den exklusivsten Klubs, und bereicherten sich durch eine komplexe Kombination aus legalen und illegalen Geschäften. Seit der Entdeckung des Nordseeöls genossen die Shetlandinseln noch nie da gewesenen Wohlstand, und eine Schar Männer von den Inseln nutzte das nach Kräften aus. Es war eine Mischung aus Freimaurern und Mafia. Mit einer ordentlichen Portion Widerwärtigkeit als Dreingabe.
    Natürlich fragte ich mich, warum diese Männer es nicht dabei belassen, warum sie nicht wie andere heiraten, sich paaren und die Früchte ihres kleinen Besitzes genießen konnten. Wieso mussten sie die Mütter ihrer Söhne entführen, vergewaltigen und ermorden? Dieser grauenhafte Prozess, vermutete

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