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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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nicht dafür, doch ich respektiere das Gesetz und das Recht der Frau, letzten Endes selbst zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht.
    Aber unter keinen Umständen wäre ich bereit gewesen, einen solchen Eingriff bei Emma durchzuführen.
    Verglichen mit dem Rest von Europa, sind Großbritanniens Abtreibungsgesetze ziemlich lax; zu lax, wie viele behaupten würden. Hier kann bis zur vierundzwanzigsten Schwangerschaftswoche legal ein Abbruch vorgenommen werden, vorausgesetzt, zwei Ärzte sind der Ansicht, dass das Gesundheitsrisiko für die Frau – oder für ihre Kinder – größer ist, wenn sie das Ungeborene austrägt, als wenn sie die Schwangerschaft beendet. Das läuft normalerweise darauf hinaus, dass Ärzte die Entscheidung einer Frau abzutreiben, mittragen. So etwas ist mittlerweile als »Sozialabtreibung« bekannt, ein Vorgehen, das vielerorts missbilligt wird.
    Nach der vierundzwanzigsten Woche ist ein Abbruch nur erlaubt, wenn eine medizinische Indikation vorliegt, dass das Leben oder die Gesundheit der Frau durch ein Fortsetzen der Schwangerschaft ernstlich gefährdet ist, oder wenn davon ausgegangen wird, dass das Kind mit schweren Behinderungen zur Welt kommt. Bei der sorgfältigen Durchsicht von Emmas Patientenkarte hatte ich keine triftigen Gründe dafür gefunden, weshalb
die Abtreibung so spät durchgeführt werden sollte. Nichts in ihren Unterlagen deutete auf eine schwere Deformität des Fötus oder auf eine signifikante Gefahr für Emmas eigenes Leben hin. Die Schwangerschaft war unauffällig; ganz offensichtlich war sie der Mutter lästig, ansonsten jedoch völlig normal.
    Ich fragte mich, wie viel Emma wohl für ihren illegalen Abbruch bezahlt hatte, warum um alles in der Welt man sie unter absurden Vorwänden fünf Tage lang hier festgehalten hatte, anstatt die Operation sofort durchzuführen, und wie viele verzweifelte Frauen jedes Jahr hier ankamen, um einen Eingriff vornehmen zu lassen, der nirgendwo anders in Europa erlaubt war.
    Schließlich ging ich weiter. Ich zog das nächste Fenster ein paar Zentimeter weit auf. Diesmal saß die Bewohnerin des Zimmers im Bett und sah fern. Die Frau (nein, das Mädchen, sie konnte nicht älter als sechzehn sein) schien ebenfalls schwanger zu sein, obwohl man es nicht mit Sicherheit sagen konnte. Hätte ich Zeit gehabt, sie zu beobachten, hätte sie sich zweifellos verraten. Schwangere passen sowohl ihr normales Bewegungsverhalten als auch ihre Körperhaltung instinktiv an, um den ungeborenen Fötus zu schützen. Früher oder später hätte sie die Hände auf den Bauch gelegt, sich aufgerichtet, ohne Druck auf die Bauchmuskeln auszuüben, oder sich sanft das Kreuz gerieben. Ich ging weiter und bog um die Ecke.
    Hier kam ich an sechs Zimmern vorbei, alle leer, und bog um eine weitere Ecke. Der erste Raum in diesem neuen Korridor war leer, das Bett kahl. Darauf lagen Kissen ohne Bezug, zusammengefaltete gelbe Decken, aber keine Bettwäsche. Das nächste Zimmer sah genauso aus.
    Das dritte war leer, schien aber für eine Patientin bereitgemacht worden zu sein. Ich ging hinein. Das Bett war ordentlich bezogen. Weiße Handtücher lagen gefaltet auf der Sessellehne. Ein geblümtes Nachthemd – sauber, perfekt gebügelt und zusammengelegt  – lag am Fußende des Betts. An den Wänden hingen etliche Drucke, die Wildblumen zeigten. Der Raum sah genauso aus wie ein ordentliches, gemütliches Krankenzimmer in einer exklusiven
Privatklinik. Bis auf die vier Metallfesseln, die mit Ketten an jeder Ecke des Bettes befestigt waren.
    Â 
    Ich tappte rückwärts aus dem Raum und zog die Tür zu, wobei ich sorgsam darauf achtete, sie einen Spalt breit angelehnt zu lassen, genauso, wie ich sie vorgefunden hatte. Wie ich zwei Tage zuvor entdeckt hatte, stieg die Sterberate unter jungen Frauen auf den Shetlandinseln alle drei Jahre sprunghaft an. Der letzte Anstieg war 2004 gewesen, in dem Jahr, in dem Melissa und Kirsten angeblich umgekommen waren. Jetzt war Mai 2007, drei Jahre später.
    Noch drei Zimmer. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich sehen wollte, was sich darin befand. Aber schon drückte ich auf die Klinke des nächsten Raumes, und die Tür ging auf. Eine kleine Nachttischlampe spendete gerade genug Licht.
    Die Frau auf dem Bett konnte nicht älter sein als fünfundzwanzig. Sie hatte

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