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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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aufs Bett und öffnete ihren Morgenrock. Emma war eine bildschöne Frau: wahrscheinlich Ende zwanzig, groß, mit leuchtend blondem Haar. Ihre Augen waren groß und hellbraun, ihre Lippen voll und sehr rot, ihre Zähne weiß und vollkommen.
    Ich drückte mit den Händen sehr sanft auf ihren Bauch. Sofort kickte etwas zurück. Ich blickte zu Emma, doch ihre Miene war angespannt. Sie wollte mir nicht in die Augen sehen.
    Â»Was machen Sie beruflich, Emma?«, erkundigte ich mich, während meine Hände aufwärtsglitten.
    Sie lächelte. »Ich bin Schauspielerin«, sagte sie und machte den Eindruck eines Menschen, der lange darauf gewartet hat, diese Worte auszusprechen. »Ich habe gerade eine Hauptrolle im West End gekriegt.« Sie nannte ein Musical, von dem ich ganz entfernt schon einmal gehört hatte. »Die Zweitbesetzung vertritt mich, aber wenn ich nicht bald wieder da bin, geben die ihr die Rolle vielleicht auf Dauer.«
    Ich beendete meine Untersuchung und dankte ihr; dabei war ich alles andere als glücklich. Dann ging ich zum Fußende des Betts und nahm abermals die Karte zur Hand. Auf der zweiten Seite fand ich, was ich suchte. LP: 3. November 2006. Ich starrte das Rohrgestell des Betts an, während ich versuchte, im Kopf zu rechnen. Dann blätterte ich rasch den Rest der Unterlagen durch. Ich sah auf. Emma hatte sich aufgesetzt und musterte mich. Ihre Augen blickten wachsam, ihre Lippen waren zu einer geraden Linie verzogen.
    Â»Emma, hier steht, dass Ihre letzte Periode am dritten November war. Kommt das in etwa hin?«
    Sie nickte.
    Â»Demnach wären Sie … ungefähr in der siebenundzwanzigsten oder achtundzwanzigsten Woche?«

    Wieder nickte sie, langsamer diesmal. Einen Augenblick lang konnte ich sie nur anstarren. Dann schaute ich von Neuem auf ihre Unterlagen, überprüfte alles noch einmal und dann noch ein drittes Mal. Sie machte Anstalten, sich auf dem Bett nach vorn zu schieben.
    Â»Sagen Sie jetzt bloß nicht, das ist ein Problem. Man hat mir versprochen –«
    Â»Nein, nein …« Abwehrend hob ich beide Hände. »Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Wie gesagt, ich bringe mich nur gerade wieder auf den neuesten Stand. Jetzt lasse ich Sie in Ruhe.«
    Noch einmal warf ich einen Blick auf ihre Patientenkarte und ging dann auf die Tür zu. Sie saß auf dem Bett und beobachtete mich, wie eine Katze jemanden beobachtet, der sich im Zimmer bewegt. An der Tür blieb ich stehen und drehte mich um.
    Â»Wie haben Sie von Tronal erfahren, Emma? Wenn Sie im West End arbeiten, wohnen Sie bestimmt in London. Sie haben sich einen weiten Weg gemacht.«
    Sie nickte langsam; ich war ihr immer noch nicht ganz geheuer. »Kann man wohl sagen«, stimmte sie zu. »Ich bin in eine Klinik in London gegangen. Die haben gesagt, sie können mir nicht helfen, aber sie hatten solche Prospekte.«
    Â»Prospekte von Tronal?«
    Ein kleines Kopfschütteln. »Tronal wurde gar nicht erwähnt. Ich hatte keine Ahnung, dass ich bis auf die Shetlands fahren müsste. In dem Prospekt stand etwas von Beratungen für schwangere Frauen im zweiten und dritten Trimester. Es war eine Telefonnummer angegeben.«
    Â»Und Sie haben da angerufen?« Irgendwo in dem Gebäude war ein Geräusch zu vernehmen. Ich versuchte, Emma nicht merken zu lassen, wie ich mich versteifte.
    Â»Ich hatte ja nichts zu verlieren. Ich hab mich mit einem Arzt getroffen, in einem Raum gleich bei der Harley Street. Er hat mich hierher verwiesen.«
    Ich musste weiter. Also rang ich mir ein Lächeln für Emma ab und sah auf die Uhr. »In einer Stunde habe ich eine Besprechung
mit Mr. Mortensen«, sagte ich. »Ich kann ja mal nachfragen, ob Sie was zum Schlafen kriegen können. Kommen Sie bis dahin klar?«
    Sie nickte und schien sich ein wenig zu entspannen. Ich bedachte sie mit einem letzten Lächeln und verließ das Zimmer. Wenn ich Glück hatte, würde sie eine Stunde warten, bis sie mein Versprechen einforderte. Ich hatte eine Stunde. Höchstens.
    Draußen im Korridor lehnte ich mich an die Wand; ich brauchte einen Moment, um wieder durchatmen zu können, um einen klaren Kopf zu bekommen.
    Wie die meisten Fachärzte für Geburtshilfe umfasst meine Ausbildung auch Schwangerschaftsabbrüche, und seit ich auf den Shetlandinseln lebte, hatte ich drei vorgenommen. Ich tue das nicht gern, bin im Allgemeinen auch

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