Todespakt
bestrafte. So gelang es ihm innerhalb weniger Jahre, sich ein beachtliches Imperium aufzubauen. Mittlerweile wartete er nicht mehr, bis Gegenstände weggeworfen wurden, sondern er nahm sich, was er brauchte. Obwohl die Leute ständig jammerten, gab es mehr denn je alles im Überfluss. Er verteilte es lediglich ein wenig gerechter. Und das für einen satten Profit. Über die Organisation, der er sich angeschlossen hatte, erweiterte er sein Angebot: Drogen, Menschenhandel, Geldwäsche ... Seine Beziehungen waren mittlerweile breit gefächert. Doch seit dem EU-Beitritt seiner Heimat nahm die Konkurrenz stetig zu, und es wurde für ihn immer schwieriger, sein Revier zu behaupten. Ein Umstand, der ihm zunehmend Sorgen bereitete und ihn dazu bewogen hatte, seinen persönlichen Schutz zu erweitern.
Etwa zwanzig Meter vor der Halle gab Victor seinen Leibwächtern zu verstehen, dass sie auf ihn warten sollten. Er wollte vor seinen Leuten nicht wie ein Mann erscheinen, der Schutz benötigte. Schwäche war etwas, das er sich nicht leisten konnte. Das Treffen war für 23:00 Uhr angesetzt worden. Die Leuchtziffern seiner Breitling zeigten ihm an, dass er bereits fünf Minuten zu spät war. Es war kein Auto auf dem abgelegenen Gelände zu sehen. Nur das Licht hinter den vergitterten Fenstern deutete auf Anwesende in der Lagerhalle. Es war eine von vielen solcher Hallen, die Victor im ganzen Land verteilt angemietet hatte. Als er vor der Tür stand, die in das graue Rolltor eingelassen war, klopfte er an. Kurz darauf wurde von innen das Schloss entriegelt und Victor trat ein.
Die knapp einhundert Quadratmeter große Halle war zu gut zwei Dritteln mit Waren gefüllt. Neben Flachbildfernsehern, Computern und anderen hochwertigen Elektrogeräten, befanden sich im hinteren Bereich auch wertvolle Kunstwerke und antike Möbel. Das meiste davon war mit Kartonplatten und Laken ummantelt worden, um sie vor Schmutz und Beschädigung während des Weitertransports zu schützen. An den seitlichen Wänden stapelten sich unter grauen Decken Photovoltaikmodule. Einige Verbindungskabel hingen unter den Decken hervor und zeugten davon, dass diese Solarmodule bereits montiert und in Betrieb gewesen waren, bevor man sie entwendet hatte. Ein neuartiger Bereich in Victors Branche, der sich als äußerst rentabel erwies. Inmitten dieser Ansammlung von Diebesgut standen drei Männer in Arbeitskluft: Silvio Babanic, Leon Gabrea und Dimitrij Mironow. Letzterer war Russe und gleichzeitig der Grund, weshalb sie sich der besseren Verständigung wegen auf Deutsch und nicht auf Rumänisch unterhielten; obwohl Victor sich nicht sicher war, ob das für Dimitrij einen Unterschied machte.
»Wieso ist der Kram noch nicht abgeholt worden?«, fragte Victor.
»Der LKW hat Probleme«, antwortete Leon. Er war der Jüngste und Schmächtigste in ihrer Truppe. Er hatte dunkle, buschige Augenbrauen und eine kleine Narbe am Kinn. »Ist auf halber Strecke liegengeblieben.«
»Blestemat!«, zischte Victor. Wenn es ums Fluchen ging, bevorzugte er die Muttersprache. »Wie lange?«
»Zwei Tage.«
Diese armseligen Idioten, dachte er. Kein Wunder, dass sein Land vor die Hunde ging, wenn sie es dort nicht einmal fertigbrachten, funktionierende Transporter zu beschaffen. Victor betrachtete seine Arbeiter eingehender. »Das ist hoffentlich nicht der einzige Grund, weshalb ihr mich um diese Zeit hierherbestellt.«
Die drei traten auf der Stelle und betrachteten ihre Füße.
»Wo ist Vadim?«, fragte Victor und sah die drei an. »Jetzt sagt mir nicht, die Bullen haben ihn geschnappt. Sonst müsste ich mich fragen, weshalb die Ware dann noch immer in einer meiner Lagerhallen rumsteht und nicht längst woanders untergebracht wurde.«
»Ist nicht geschnappt«, sagte Dimitrij. Er sprach nur gebrochen Deutsch.
»Sondern?« Victors Blick wurde fordernder. »Raus mit der Sprache, was hat dieser armselige Säufer angestellt?«
»Er ist verschwunden«, meinte Silvio nervös.
»Was soll das heißen, er ist verschwunden?«
»Ist nicht da«, sagte Dimitrij.
Victor ging auf ihn zu und gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. Der Staub, der sich in seinen kurzen blonden Haaren verfangen hatte, bildete im Licht der Strahler einen sanften Nebel. »Das ist mir durchaus klar, du einfältiger Russe. Ich will verdammt nochmal den Grund dafür wissen!«
»Hast du heute Zeitung gelesen, Chef?«
»Dafür habe ich keine Zeit«, fuhr er Silvio an. »Und ihr auch nicht.«
Silvio griff
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