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Todespakt

Todespakt

Titel: Todespakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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schreckte auch nicht davor zurück, ältere Menschen zu bedrohen und brutal einzuschüchtern. Und nun stand er hier auf diesem verlassenen Gelände, vor einer menschenleeren Halle und pisste sich vor Angst fast in die Hose. Vielleicht wurde er allmählich zu alt für diese Art von Arbeit. Letztendlich war er nur ein Handlanger, ein Laufbursche, der die Drecksarbeit erledigte und den seine Sünden allmählich einholten. All die Gesichter, die im Schlaf hochgeschreckt waren; die vielen Menschen, die er geschlagen und verängstigt hatte, um an ihr Hab und Gut zu gelangen, und die er anschließend sich selbst überlassen hatte. Er konnte nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob sie es alle überlebt hatten. Immer öfter sah er ihre Gesichter in seinen Träumen, wie sie zu ihm aufsahen und ihn anflehten, während er eine Waffe auf sie richtete. Und genauso oft schreckte er im Schlaf hoch, weil es ihm immer schwerer fiel, dies zu tun.
    Wenn Victor davon wüsste, wäre er nicht besonders erfreut darüber. Davor solltest du Angst haben!
    Noch immer starrte er den Schlüsselbund an, der vor ihm auf dem dunklen Asphalt lag. Zum Teufel mit diesem Armband. Es beschützte ihn nicht vor seinem schlechten Gewissen.
    Als er sich nach den Schlüsseln bückte, bemerkte er, wie sich das Mondlicht um ihn herum plötzlich verdunkelte und einen breiten Schatten auf das Tor der Halle warf. Zunächst ging er davon aus, dass es sich um Leon und Dimitrij handelte, die zurückgekehrt waren, um ihn zur Eile zu drängen. Dann sah er die Konturen des Schattens, die nicht denen eines Menschen entsprachen.
    Silvios Luftröhre schien sich zu verengen. Ein leises Rasseln erklang, als seine Hand zu zittern begann und die Schlüssel an dem Bund vibrieren ließ wie ein billiges Windspiel. Langsam drehte er sich um … und erstarrte. Während er andächtig auf die Knie sank, spiegelte sich in seinem Gesicht das gleiche Entsetzen wider, das ihn in seinen Träumen verfolgte.
    »Diavolul«, brachten seine Stimmbänder keuchend hervor. Dann blitzte es vor ihm auf, und ihm wurde bewusst, dass dies seine letzte Nacht auf Erden sein würde.
     

15
     
     
    Nach einer sternenklaren Nacht trübte an diesem Morgen kein Wölkchen den Himmel. Die aufgehende Sonne tauchte den Horizont oberhalb des Rheintals in glutrote Farbe und verlieh den Bäumen und Gebäuden am Rande des Ufers diffuse Konturen, die sich langsam aus der Dunkelheit lösten, als würde der anbrechende Tag sie neu erschaffen. Ein Anblick, der sich Kapitän Lars Hansen in seinen 33 Dienstjahren schon oft geboten hatte, der ihn aber immer wieder aufs Neue faszinierte.
    Vor drei Tagen war er mit dem Containerschiff Nova von Antwerpen aus aufgebrochen. Am Vorabend hatten er und seine Mannschaft im Koblenzer Rheinhafen übernachtet, nachdem dort ein Teil der Ladung gelöscht und neue aufgeladen worden war. Nun fuhren sie mit knapp zwanzig Knoten ihrem Ziel Aschaffenburg entgegen.
    Lars Hansen stand im Steuerhaus, am Heck des Schiffes, und nippte an seinem Kaffee. Vor ihm erstreckten sich etwa sechzig Meter Ladefläche, zu gut zwei Dritteln mit Containern bestückt, die sich in vier Reihen stapelten. Der Verkehr auf dem Fluss hielt sich zu dieser frühen Stunde in Grenzen. Lediglich in einiger Entfernung entdeckte er im Morgengrauen die Signallichter eines entgegenkommenden Frachters.
    Die Nova bewegte sich währenddessen auf das Deutsche Eck zu, an dem die Mosel in den Rhein mündete. An den Masten, die die Landzunge säumten, wehten die Fahnen aller Bundesländer, angeführt von der gesamtdeutschen Flagge an der Spitze. Majestätisch zeichnete sich dahinter das beleuchtete Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. vor dem aufklarenden Horizont ab. Ein Schauspiel, das in dem groß gewachsenen Mann im Ruderhaus eine andächtige Ruhe erzeugte. Lars Hansen liebte diese Tageszeit. Sie vermittelte ihm einen kurzen aber intensiven Moment des Friedens, bevor die Welt erwachte und in ihre übliche Betriebsamkeit verfiel. Dieser energetische Zeitraum, in dem sich die Dunkelheit zurückzog und dem Tageslicht wich, als wäre die Nacht nur ein Lidschlag der Natur.
    »Störe ich?«
    Hansen löste sich nur widerwillig von diesen Eindrücken und sah nach rechts zur offenen Tür des Steuerhauses. Dort stand Robert Lindner, sein erster Offizier und Steuermann.
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Hansen und lächelte, wobei sein glattrasiertes 58-jähriges Gesicht erstaunlich wenig Falten warf.
    Robert Lindner trat ein und schloss

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