Todespakt
anrufe«, sagte Victor auf Rumänisch. »Ich weiß, bei euch ist es eine Stunde später, aber wir haben hier ein Problem.«
»Wenn es um den Lkw geht ...«
»Der ist im Moment zweitrangig«, erwiderte Victor. »Rafael ist nicht verschwunden, er ist tot. Und er ist nicht an einem Herzanfall gestorben, wenn du weißt, was ich meine. Ich war geschäftlich unterwegs und habe gerade erst davon erfahren. Was denkst du darüber?«
»Vermutlich dasselbe wie du«, sagte die Stimme. »Ich werde mich mal ein wenig umhören. Vielleicht finde ich ja was heraus.«
»Danke«, sagte Victor. »Ich stehe in deiner Schuld. Die Sache hat für mich oberste Priorität. Einer meiner Leute wird vermisst. Womöglich hat er bereits geplaudert und ist tot. Ich will wissen, wer versucht, uns ins Handwerk zu pfuschen. Ich will wissen, wer der Schweinehund ist, der Rafael auf dem Gewissen hat. Und ich will verdammt nochmal wissen, wer es wagt, sich mit mir anzulegen!«
»Die Sache betrifft letztendlich auch mich«, sagte die Stimme. »Daher werde ich tun, was in meiner Macht steht. Ich setze voraus, dass auch du alles daran setzt, den möglichen Konsequenzen von Rafaels Tod entgegenzuwirken.«
»Natürlich, Petre«, erwiderte Victor ein wenig verunsichert.
»Gut. Ich melde mich bei dir, sobald ich mehr weiß.«
»Nochmals danke, Petre.« Victor beendete das Gespräch. Dann ging er ins Licht der Straße, wo seine Leibwächter auf ihn warteten.
Etwa zwei Stunden später verließen auch Victors Mitarbeiter die Halle. Sie hatten die übrige Ware verpackt und ausgiebig über das Treffen mit Victor und die Umstände diskutiert, die dazu geführt hatten. Vadim war das dritte Opfer dieser Mordserie, daran gab es für sie keinen Zweifel. Und diese Schlussfolgerung beunruhigte sie. Eigentlich war es mehr eine unterschwellige Angst. Denn sollte tatsächlich ein Konkurrent von Victor hinter den Morden stecken, dann konnte jeder von ihnen der Nächste sein. Sie waren Teil der Exekutive dieses Unternehmens, und ihr Verlust würde Victor schwächen. Vermutlich standen ihre Namen längst auf einer Liste, wenn Vadim geplaudert hatte. Daher hielten sie in dieser Nacht besonders aufmerksam Ausschau nach auffälligen Schatten zwischen den Hallen.
Silvio verließ als Letzter das Lager. Er hatte den Schlüssel und verriegelte die Tür. Auf halber Strecke zur Straße hin hielt er plötzlich inne und tastete in der Dunkelheit verzweifelt sein Handgelenk ab.
Das rote Armband. Es war nicht mehr da! Er musste es bei der Arbeit in der Halle verloren haben.
»Ich muss nochmal zurück«, sagte er aufgebracht.
Die beiden anderen blieben stehen. Sie waren nur dunkle Konturen im Licht des Mondes.
»Hab was vergessen«, erläuterte Silvio, dem der wahre Grund zu peinlich war.
Dimitrij stöhnte. »Bin müde«, raunte er mit russischem Dialekt. »Nix warten.«
»Er hat recht«, pflichtete Leon ihm bei. »Es ist spät, hat das nicht Zeit bis morgen?«
Silvio sah unsicher zurück. Trotz der Dunkelheit war das weitläufige Industriegelände gut zu überblicken. Es blieb ihm nichts anderes übrig, er musste zurück, musste das Armband wiederfinden. Zuerst der Tote in der Zeitung, dann Vadim, der verschwunden war, der liegengebliebene Lkw ... und nun auch noch sein verlorener Glücksbringer. Das waren alles andere als günstige Vorzeichen. Victor hatte recht. Er war ein abergläubischer Trottel. Doch er war nun mal so aufgewachsen. Sollte er die Bräuche seines Landes ignorieren, nur weil er zum Dieb geworden war? Gerade dann galt es, den Teufel auszutricksen und auf sein Glück zu vertrauen.
»Geht schon mal vor und wartet im Wagen auf mich«, sagte er und versuchte dabei, seine Anspannung zu überspielen. »Es dauert nur fünf Minuten.«
»Na schön«, meinte Leon genervt. »Aber beeil dich.«
Unruhig sah Silvio sich um, als er kurz darauf die Zufahrt zur Halle betrat. Niemand war zu sehen, kein Geräusch zu hören. Dennoch beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Seine Intuition sagte ihm, dass es keine gute Idee war, sich hier länger aufzuhalten.
Hektisch kramte er in den Taschen nach dem Schlüsselbund, bis er klirrend zu Boden fiel. Silvio atmete tief durch.
Beruhige dich. Hier ist niemand außer dir.
Weshalb spürte er dann dieses Kribbeln in seinem Nacken?
Mit einem Mal kam er sich so lächerlich vor wie ein Vorschulkind, das Angst vorm Zahnarzt hatte und sich im Keller versteckte. Er war 38 Jahre, brach in fremde Gebäude und Wohnungen ein und
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