Todespakt
Aus diesem Grund hat er sogar Kontakt zur Polizei gesucht und sie auf einen der Tatorte hingewiesen. Die Ermittler sind sich der Motive dafür noch nicht sicher, aber ich vermute, der Täter will auf seine Art für Gerechtigkeit sorgen. Und er will, dass es alle erfahren. Wenn es mir gelingt, ihn an der richtigen Stelle zu treffen, dann nimmt er vielleicht auch Kontakt mit mir auf. Denn er wird das nicht so im Raum stehen lassen wollen. Er wird verlangen, dass ich es berichtige.«
»Oder er wird Ihnen den Kopf dafür abreißen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Sind Sie neuerdings unter die Kriminalpsychologen gegangen? Was macht Sie so sicher?«
»Meine Erfahrung als Journalist.«
Klemens stieß einen verächtlichen Laut aus. »Für Ihre Erfahrung kriegen Sie da draußen nicht mal eine Suppe umsonst, das ist Ihnen hoffentlich klar. Im Internet fühlt sich doch mittlerweile jeder Quacksalber dazu berufen, die Welt in irgendwelchen Blogs zu kommentieren oder sich zum Kritiker aufzuspielen. Man kann nicht mal mehr einen Furz lassen, ohne dass jemand seinen Senf dazu abgibt. Kaum stellen wir einen Artikel online, hagelt es unqualifizierte Kommentare, oftmals von Leuten, die nicht einmal imstande sind, einen einzigen Satz grammatikalisch korrekt zu formulieren. Ich bin wahrlich der Letzte, der etwas gegen Meinungsfreiheit hat, aber ich finde, diese Welt wäre bedeutend besser dran, wenn gewisse Leute öfter ihre vorlaute Klappe halten würden! Vermutlich kursieren im Netz schon jetzt die wildesten Gerüchte über die Morde, was unsere Arbeit immer schwieriger macht.«
»Sehen Sie, genau das meine ich«, sagte Bondek. »Wenn der Mörder genauso kritikfähig ist wie Sie, habe ich ihn jetzt schon an der Angel.«
Klemens betrachtete ihn verdutzt.
»In der Form, wie der Kerl seine Morde inszeniert, hält er sich offenbar für eine Art Künstler«, fuhr Bondek fort. »Und die sind in der Regel sehr sensibel, was Kritik an ihrer Arbeit betrifft. Er wird das nicht unkommentiert lassen.«
»Die Frage ist nur, wie dieser Kommentar ausfallen wird.« Klemens betrachtete erneut den Text der Kolumne. »Also gut«, meinte er. »Einige Auszüge aus Ihrem Artikel werden wir heute noch online stellen. Der Rest erscheint in der morgigen Ausgabe. Und was die Kolumne betrifft ...« Er schnaufte resigniert. »Spielen Sie meinetwegen mit dem Feuer. Aber Sie werden den Text noch einmal überarbeiten und ein wenig entschärfen. Danach gebe ich mein Okay.«
Bondek nickte zufrieden und verließ Klemens' Büro mit einem Grinsen.
14
Die Zufahrt war wie üblich nicht beleuchtet, als Victor sie betrat. Seine beiden Aufpasser gingen vor ihm. Dennoch beschlich ihn ein mulmiges Gefühl, als er sich der Halle näherte. Die Vertiefungen und Risse in der bröckelnden Fassade wirkten im silbrigen Licht des Mondes wie Einschusslöcher. Eindrücke, die Victor Kiriac noch gut aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte und die ihm jedes Mal einen kalten Schauer über den Rücken jagten, wenn er sich der Halle näherte. Die Aufstände am Ende der 1980er Jahre hatten seinem Land eine äußerst zweifelhafte Freiheit beschert und ihn zum Halbwaisen werden lassen. Sein Vater, Offizier in der rumänischen Armee, war in Bukarest bei Straßenkämpfen mit der gefürchteten Geheimpolizei des Präsidenten ums Leben gekommen. Victor war zu dieser Zeit neun Jahre und kaum dazu in der Lage gewesen, die Gründe zu verstehen, die seinem Vater den Tod gebracht hatten. Seitdem war der Jahrestag der Revolution für ihn mit zwiespältigen Gefühlen verknüpft. Die schwere Zeit danach hatte ihn seiner Kindheit beraubt und ihn schon früh gelehrt, auf eigenen Füßen zu stehen und sich durchzuschlagen. Notfalls mit Gewalt. Eine Zeit, die ihn geprägt und abgehärtet hatte. Mit Anfang zwanzig war er nach Deutschland gekommen. Und sofort hatte er erkannt, dass es ein Land des Überflusses war. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er mit seinem alten Kastenwagen zum ersten Mal die Sperrmüllhalden abgeklappert und mit Erstaunen festgestellt hatte, was die Leute hier als wertlos erachteten. Dinge, die es in seiner Heimat oftmals nicht gab oder die sich nur wenige leisten konnten. Schnell erkannte er das geschäftliche Potenzial dieser Konsumssucht, und bald darauf entstanden die ersten Vertriebskanäle. Er baute Beziehungen auf, heuerte Leute an und verschaffte sich vor ihnen Respekt, indem er Loyalität belohnte und jegliche Art von Vertrauensbruch hart
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