Todesqual
Geschichtsbüchern zu sichern und ihm zu Schlagzeilen zu verhelfen, wie sie noch nie jemandem vergönnt gewesen waren. Sie ermittelte in den Romeo-Morden. Sie jagte Romeo, während Romeo seinerseits sie verfolgte. Poesie in Reinkultur.
Er sah auf die Uhr und fragte sich, ob es Lena wohl aufgefallen war, dass das Telefon auf dem Bett lag. Ein dezenter Hinweis darauf, dass er ganz in ihrer Nähe war und eine Weile in ihrem Haus verbracht hatte. Als er feststellte, dass Harriet ihn anlächelte, fühlte er sich billig und schmutzig. Zweite Wahl.
Finn hatte die ganze Zeit Recht gehabt. Inzwischen war es ihm klar. Er war immun.
Er kramte den Schlüssel aus dem alten Stiefel hervor, der im Garten stand, schloss die Eingangstür auf, machte Licht und sah zu, wie sein nächstes Opfer das Haus betrat. Immer noch versuchte sie, das alberne Hinken zu verbergen.
»Ihr Freund hat aber ein schönes Haus«, sagte sie. »Ist er geschäftlich verreist?«
Fellows nickte. »Er kommt erst morgen wieder.«
»Wo bewahrt er denn den Alkohol auf?«
Fellows wies auf die Küche. Finn hatte ihm erklärt, die Flaschen stünden in der Speisekammer neben der Kellertür. Doch als er nach einer davon griff, hielt Harriet ihm die Hand fest.
»Sie trinken nicht oft, richtig?«, meinte sie und wählte eine andere Flasche aus. »Ich kümmere mich um die Drinks, Martin. Warum legen Sie nicht Musik auf?«
»Was möchten Sie denn gerne hören?«
Sie lächelte. »Etwas Leises und Langsames. Suchen Sie es nur aus.«
Im Wohnzimmer fand Fellows den CD-Spieler vor, bereits bestückt mit den Scheiben von Musikern, deren Namen er noch nie gehört hatte. Er beschloss, es zu riskieren, entschied sich für eine und drückte auf PLAY. Als die Musik einsetzte, spürte er, wie ihm ein Schauder den Rücken hinaufkroch und in seinem Nacken die Flügel ausbreitete.
Dieses Lied kannte er. Obwohl er sonst nur Klassik hörte, war ihm das Jazzstück vertraut. Er hatte es mit Lena gehört. Durch ihr Schlafzimmerfenster, als er vor dem Haus stand. Dasselbe Saxophon. Dasselbe Lied.
»Optimal«, sagte Harriet.
Er drehte sich zu ihr um. Sie kam durchs Zimmer auf ihn zu und wirkte beinahe beschwingt, während sie ihm sein Glas reichte und einen Schluck aus ihrem nahm. Als sie sich abwandte, um aus dem Fenster zu schauen, beäugte Fellows argwöhnisch sein Glas und überlegte, welchen Schaden der Alkohol wohl seinem Körper zufügen würde. Aber wenigstens hatte das Getränk nicht den chemisch vulgären Geschmack von Gin.
»Es ist wunderschön, Martin. Sie hatten Recht mit der Aussicht.«
Er machte gute Miene zum bösen Spiel und nahm einen kleinen Schluck von dem giftigen Gebräu. Dabei musste er den Drang unterdrücken, nach Harriet zu schlagen. Er spürte das Brennen in seiner Kehle und im Magen. Als er Harriet musterte, ließ sein innerer Konflikt ein wenig nach, denn ihm wurde klar, dass er nur noch den richtigen Moment finden musste. Sie mochte glauben, dass sie heute Abend der Boss war, doch an seinem Plan hatte sich nichts geändert. Er war kein Ersatzmann, keine zweite Geige und auch kein geiler Kerl, der für einen Zuhälter wie Burell anschaffen ging. Er war Romeo, und Harriets Stunden waren gezählt.
Sie trank einen Schluck und strich ihm dann mit der Hand über die Schulter. Ganz dicht stand sie vor ihm. Ihr Blick glitt zu seinem Mund und dann wieder nach oben. Nach einem zweiten Schluck Wodka betrachtete er sie. Ein Jammer, dass es so sein musste. Vielleicht sogar tragisch.
»Hast du dich je nach etwas gesehnt?«, fragte er.
Sie kicherte. »Wer hat das nicht?«
»Ich meine, ob du jemals etwas so fest gewollt hast, dass du immer daran denken und davon träumen musstest und es dir gewünscht hast, wenn du eine Sternschnuppe sahst?«
Erstaunt trat sie näher heran. »So redest du doch sonst nie.«
Vielleicht war es der Alkohol, aber er glaubte, ihr etwas schuldig zu sein. Nicht unbedingt eine Erklärung für das, was er vorhatte, aber zumindest etwas, worauf sie sich stützen konnte.
»Hast du dich jemals so nach etwas gesehnt, dass du geglaubt hast, du würdest sterben, wenn du es nicht bekommst?«
Sie dachte über seine Frage nach. »Kann sein. Aber ich glaube nicht, dass ich mir ein Haus, ein Auto oder sonst etwas Materielles wünschen würde. Eher einen Menschen. Oder einen anderen Job, um hier rauszukommen?«
»Rauszukommen?«
»Als ich jünger war, wollte ich das.«
»Wegen deinem Daddy«, sagte er.
Sie nickte. Nun sah sie eher traurig
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