Todesqual
lang im Haus umgesehen und ist dann wieder gefahren, um uns die nötigen Genehmigungen zu besorgen.«
Barrera war der Lieutenant. Er machte sich gern ein Bild vom Tatort und schaltete sich oft aktiv in die Ermittlungen ein.
»Sonst noch was?«, hakte Novak nach.
»Die Nachbarin hat erzählt, die perfekte Ehe sei doch nicht so perfekt gewesen. Die beiden hätten oft gestritten, und manchmal wurde es sogar laut.«
Novak sah Lena an und schüttelte den Kopf. »Wir haben dasselbe gehört. Bis jetzt fassen wir Brant noch mit Samthandschuhen an, Stan, aber er muss mit aufs Präsidium. Weißt du, was ich meine?«
»Schon kapiert«, erwiderte Rhodes. »Mit Samthandschuhen. Wir bitten den Mistkerl um seine Mithilfe.«
Lena kannte das Spiel, dessen Regeln eigentlich ganz einfach waren: Es ging darum, Brant so lange wie möglich hinzuhalten und ihn im Unklaren darüber zu lassen, dass er verdächtigt wurde, damit er sich keinen Anwalt nahm. Nun hatten sie den entscheidenden ersten Schritt gemacht. Ihre Ermittlungen folgten ab jetzt, wenn auch nur in einer groben
Richtung, dem statistischen Durchschnitt. Denn wenn ein Teil eines Ehepaares ermordet wurde, war in den meisten Fällen der überlebende Partner der Täter - auch wenn auf den ersten Blick alles auf einen Perversen hindeutete. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Brant seine Frau umgebracht und dann das Verbrechen - mit einem Küchenmesser und drei Plastiktüten als Requisiten - als die Tat eines Serienmörders dargestellt. Beinahe wäre er mit seiner Inszenierung sogar erfolgreich gewesen. Die fehlende Zehe hatte er vermutlich in der Toilette hinuntergespült.
»Wie wollt ihr ihn vernehmen?«, erkundigte sich Rhodes.
Fragend sah Novak Lena an.
»Die beiden kennen ihn besser als wir«, meinte sie zu ihm. »Ich kümmere mich erst mal darum, eine Mordakte anzulegen.«
Novak nickte zustimmend. »Hast du gehört, Stan? Lena erzählt dir, was wir inzwischen wissen, wenn du ins Präsidium kommst.«
»Bis dann also«, sagte Rhodes.
Während Novak das Telefon wegsteckte, erinnerte sich Lena an Brants Reaktion, als sie ihm das Foto seiner toten Frau gezeigt hatte. Der Gefühlsausbruch war offenbar nur Theater gewesen. Vor einem Monat war José López dreizehn Stunden lang ebenso überzeugend aufgetreten, bis er es sich schließlich anders überlegt und den Mord an seiner Frau Teresa gestanden hatte. Inzwischen wartete er im Men’s Central Jail, der Justizvollzugsanstalt für Männer, auf seinen Prozess. Lena erkannte das Gebäude in der Ferne. Noch immer hörte sie López’ hasserfüllten Tonfall, als er herausbrüllte, wie er seiner Frau ein ganzes Duschtuch in den Hals gestopft und ihr dann mit einem Teppichmesser aus ihrem eigenen Werkzeuggürtel die Kehle durchgeschnitten hatte. Lena sah seinen Gesichtsausdruck und seinen lodernden Blick vor sich, als er endlich zugab, er habe mit dem Blut seiner Frau ein Kreuz
aufs Bett gemalt und sie dann wie angenagelt darauf drapiert. Beim bloßen Gedanken wurde ihr noch immer mulmig. Es war ihre erste Kostprobe dessen gewesen, wozu Menschen fähig und in der Lage waren, wenn sie beschlossen, Moral und Mitgefühl in den Wind zu schießen. Novak hatte dieses Gefühl damals als Warnsignal bezeichnet, als Gradmesser für ihre geistige Gesundheit. Er hatte hinzugefügt, sie werde hoffentlich vernünftig genug sein, den Dienst zu quittieren, wenn ein Mord sie jemals gleichgültig lassen sollte. Dieser Fall ließ Lena ganz und gar nicht gleichgültig. Und dass sie ihren Hut nahm, kam überhaupt nicht in Frage.
»Ich muss dich um einen Gefallen bitten«, sagte Novak nun.
Wortlos sah sie ihren Partner an. Man hatte López die Handschellen abgenommen, damit er sein Geständnis unterschreiben konnte. Und ehe es jemand bemerkte, hatte der Mann seine Hose geöffnet und angefangen, Lena ans Bein zu urinieren. Auch sie selbst hatte es erst mitbekommen, als der Beschuldigte von seinem eigenen Anwalt weggezerrt wurde. Willkommen beim Dezernat für Raub und Tötungsdelikte!
»Hörst du mir überhaupt zu, Lena?«, fragte Novak.
Sie nickte. Seit jenem Abend hatte sie sich nicht mehr richtig sauber gefühlt. Ganz gleich, wie kräftig sie sich auch unter der Dusche schrubbte und welche Marke einer antibakterieller Seife sie auch benutzte, sie kam sich immer schmutzig vor. Bis jetzt zumindest.
»Eigentlich wollte ich Kristin zum Essen einladen«, sprach Novak weiter. »Sie rief mich gestern an. Wir haben uns für heute Abend
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