Todesqual
schildere ihm den Stand der Dinge.«
Dr. Andy Bernhardt war Psychiater und als Profiler bei der
Polizei beschäftigt. Leider verbrachte er den Großteil seiner Zeit bei der Abteilung Innenrevision und Qualitätsmanagement, der neue Name des Dezernats für interne Ermittlungen. Doch ganz unabhängig vom Namen gab es keinen Kollegen, der dieser Abteilung nicht mit gesundem Misstrauen begegnet wäre.
Lena verstaute die Zeitungen wieder in den Asservatenbeuteln. Als sie mit Novak zu ihrem Schreibtisch ging, musterte sie das Gesicht ihres Partners. Das Erstaunen hatte sich gelegt, und die freudige Erregung war einer Mischung aus Jagdfieber und banger Erwartung gewichen.
Wir haben die ersten beiden Tage vergeudet, dachte sie. Die wichtigste Phase in jeder Ermittlung. Allerdings schien der inzwischen verstrichene Zeitraum weder im Fall Nikki Brant noch im Fall Teresa López eine Rolle zu spielen. Sie waren einer falschen Fährte gefolgt. Also hätte es genauso gut ein Jahr sein können.
21
»Er ist Linkshänder.«
M it einer ruckartigen Bewegung schob Irving Sample die Lupe näher an seinen Arbeitstisch heran und begann, die beiden Kreuzworträtsel miteinander zu vergleichen. Die Notizzettel, die Lena von der Pinnwand der Brants genommen hatte, sowie - nur für alle Fälle - ein paar weitere Schriftproben aus den Akten in ihrem Schreibtisch lagen auf einem Leuchttisch daneben.
Sample hatte sich geweigert, ins Büro zu kommen, und seinen Willen letztlich auch durchgesetzt. Nun saßen sie in seinem Arbeitszimmer bei ihm zu Hause in La Canada, einem kleinen wohlhabenden Städtchen in den Hügeln oberhalb von Glendale. Als Lena ihn angerufen hatte, hatte er erwidert, er
würde die Unterlagen lieber hier sichten. Schließlich sei es Sonntag, seine Kinder seien zu Besuch und er habe zu Hause alles, was er für ein vorläufiges Ergebnis brauche.
Lena störte das nicht, und Novak war auch einverstanden. Schließlich waren es vom Parker Center nach La Canada nur zwanzig Autominuten, und sie hatten beide ein wenig frische Luft nötig. Allerdings hätten sie nie damit gerechnet, dass in diesem Viertel Pfaue frei auf der Straße herumliefen. Zwei der Vögel standen auf einem Nachbardach und krächzten etwas hinter dem Haus an. Drei weitere verwüsteten einen Garten drei Häuser weiter.
Lena saß am Tisch und blickte aus dem Fenster. Ein Pfau war gerade in Samples Garten gelandet und beäugte sie nun argwöhnisch durch die Scheibe. Vor einigen Jahren hätte sie noch geschworen, dass es eine Halluzination war.
»Achten Sie nicht auf die Vögel«, meinte Sample, über die Schulter gewandt. »Sie sind prima Wachhunde.«
»Das kann ich mir denken«, erwiderte sie.
»Jemand ist weggezogen und hat sie zurückgelassen. Sie haben sich vermehrt und aus irgendeinem Grund beschlossen zu bleiben. Seit wir hier wohnen, hat es im Viertel keinen Einbruch mehr gegeben.«
»Der Krach würde mich wahnsinnig machen«, sagte Novak.
»Man gewöhnt sich dran.«
Sample nahm ein weißes Blatt Papier aus einer Schublade und begann, einzelne Buchstaben aus den Kreuzworträtseln abzumalen und ihre Form und Neigung nachzuahmen. Während er arbeitete, betrachtete Lena die Gerätschaften auf seinem Tisch und die Sammlung von Tintenfässern, die - wegen des Lichteinfalls ein Stück entfernt vom Fenster - in einem Vitrinenschrank standen. In den Regalen stapelten sich Fachbücher zum Thema Urkundenfälschung. Sie hatte nicht nur nichts gegen die Fahrt einzuwenden gehabt, sondern schätzte
sich sogar glücklich, auf einen Handschriftexperten von Samples Format zurückgreifen zu können.
Sample hatte seine Laufbahn bei der Abteilung für Urkundenfälschung beim Geheimdienst begonnen. Als er einen Ruf an die University of California in Berkeley erhielt, nahm er die Stelle hauptsächlich deshalb an, weil seine Kinder inzwischen im Norden von Kalifornien lebten. Doch so sehr er es auch genoss, nah bei seiner Familie zu wohnen und Studenten zu unterrichten, meldete sich bald wieder das Jagdfieber, und er vermisste die Herausforderungen der wirklichen Welt. Bis Sample sich vor zehn Jahren bereit erklärt hatte, nach Los Angeles zu ziehen und die Abteilung für Urkundenfälschung bei der dortigen Polizei zu leiten, waren derartige Aufträge auf freiberuflicher Basis an Experten vergeben worden.
Während ihrer Zeit in der Abteilung für Urkundenfälschung bei der Polizei von Hollywood hatte Lena zweimal mit Sample zusammengearbeitet. Sie waren einander auf
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