Todesqual
Mord selbst. Womöglich tötet er sogar nur aus diesem einen Grund. Und deshalb haben Sie meiner Ansicht nach ein Problem. Der Typ kommt von einem anderen Planeten und sprengt sämtliche Kriterien.«
Lena hatte es die Sprache verschlagen, und sie musste an José López und James Brant denken. Den Anblick, den man ihnen aufgezwungen hatte und der sie nun nie wieder loslassen würde. Vielleicht wollte José López deshalb lieber im Gefängnis sterben, als frei zu sein. Vielleicht hatte Brant aus diesem Grund den Lügendetektor-Test nicht bestanden. Ganz gleich, wie man ihm die Fragen auch stellte, er hatte nicht vergessen können.
Als Lena wieder einen Ton herausbrachte, war ihre Stimme nicht viel lauter als ein Flüstern. »Romeo will, dass der Ehemann genauso leidet wie er. Darum muss er es sehen.«
»Und so wartet er, bis der Ehemann nach Hause kommt. Ich wette, er hatte sich im Haus versteckt und beobachtet, wie Brant die Leiche seiner Frau entdeckt hat.«
Wieder hielt Mack die Hand über die Sprechmuschel und wechselte einige Worte mit jemandem. Lena hörte ein digitales Piepsen, Schritte und einen Wagen. Offenbar würde Mack heute Nacht nicht schlafen, sondern in der Wüste herumfahren.
»Ich muss Schluss machen, Lena.«
»Danke für die Infos«, erwiderte sie. »Vielleicht können wir …«
Doch es war nur noch ein statisches Knistern zu vernehmen. Lena starrte auf das Telefon und schaltete es ab. Erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass im Hintergrund ein Saxophon spielte. Der CD-Spieler war mit allen fünf CDs fertig und inzwischen bei Art Peppers Winter Moon angelangt. Aber auch die Musik konnte das Bild nicht aus ihrem Kopf vertreiben: Romeo, der zusah, wie Brant die Leiche seiner Frau fand. Es war unvorstellbar.
Lena legte sich einen Pullover über die Schultern, nahm ihr Glas und trat nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Der Wind hatte die Richtung gewechselt, kam nun von Osten und trieb den Nebel aufs Meer hinaus, sodass ein sternenloser Himmel zu sehen war. Als Lena sich an den Pool setzte und an ihrem Wein nippte, hörte sie in der Dunkelheit ein Geräusch und spähte in den Garten am Fuße des Hügels. Ein Kojote betrachtete das Wasser, leckte sich die Lefzen und warf ihr einen langen Blick zu, bevor er sich mit gesenktem Schwanz ins Gebüsch trollte. Er würde mit dem Trinken warten müssen, bis die Luft rein war.
Lena drehte sich in Richtung Stadt und blickte über das Lichtermeer zum gut sieben Kilometer entfernten Venice Beach. Romeos näheres Wohnumfeld. Die Gegend, wo er jeden Fluchtweg kannte und sich schnell nach Hause verdrücken konnte.
Sie zog den Pulli fester um sich und leerte ihr Glas.
Heute Nacht konnte die Aussicht ihr keine Geborgenheit vermitteln. Nur Stille. Eine kühle Brise. Und die Aussicht auf ein zweites Glas Wein, damit sie vielleicht endlich die Augen schließen und in einen traumlosen Schlaf fallen konnte.
31
I hr Mobiltelefon, das gerade in seiner Ladestation auf dem Küchentresen steckte, begann zu läuten. Lena zog das Kabel aus dem Gerät und klappte es auf.
Novak. Um halb sieben Uhr morgens. Sie konnte nur an Avis Payton denken. Warum hatte sie die Spezialeinheit nicht verständigt? Sie hatte einen Fehler gemacht.
»Hast du noch lange gearbeitet?«, fragte er.
Sie antwortete nicht und überlegte fieberhaft weiter. Novaks Stimme klang heiser, als sei er gerade erst aufgestanden. Eine Autotür knallte zu. Ein Motor sprang an.
»Wir haben wieder einen Mord«, stellte sie fest.
»Das wird sich zeigen, wenn wir dort sind.«
»Du fährst zum Jachthafen.«
»Nein«, erwiderte er.
Lena war schlagartig erleichtert, auch wenn sie deshalb ein schlechtes Gewissen hatte. Wenigstens war es nicht die junge Frau aus Marina Del Ray mit dem grellroten Haar.
»Es ist mehr in deiner Nähe«, sprach er weiter. »Und zwar auf der anderen Seite des Freeway in den Hügeln unterhalb vom Mullholland Drive. Die Kollegen aus Hollywood sind schon dort. Sie haben kurz reingeschaut und sich dann zurückgezogen. Barrera hat gerade angerufen. Seiner Ansicht nach könnte es etwas mit der gestrigen Pressekonferenz zu tun haben. Vielleicht hat Romeo es ja im Radio gehört. Möglicherweise fühlt er sich von uns unter Druck gesetzt und ist jetzt sauer. Oder wir haben Glück, und Romeo steckt gar nicht dahinter.«
Der neue Fall ging ihr nicht nur aus Gründen der Entfernung persönlich nahe. Schließlich war sie vor ihrer Beförderung als Streifenpolizistin und als Detective
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