Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
dennoch fühlte sich Theresa unbehaglich. „Passen Sie gut auf sie auf. Es gibt so viel Schlechtes in der Welt.“ Seine Stimme klang von den vielen Zigaretten kratzig und Theresa bildete sich ein, eine schwache Alkoholfahne zu riechen.
Um nicht ganz unhöflich zu erscheinen, nickte sie und betete, dass Charlotte bald zurückkommen würde.
Ihr Blick schweifte gedankenverloren über den Marktplatz und blieb an einem alten VW-Bus hängen, der sie an längst vergangene Hippiezeiten erinnerte. Sie schien nicht die Einzige zu sein, die sich für den buntbemalten Bus inmitten der vielen Trödelstände interessierte.
Mittlerweile herrschte rege Betriebsamkeit. Die Menschen trudelten nach und nach ein. Manche kamen nur zum Bummeln, andere schienen auf der Jagd nach dem tollsten Schnäppchen zu sein, denn an verschiedenen Ständen wurde gefeilscht, diskutiert und gehandelt.
Eine ältere Dame, mit einer als recht mollig zu bezeichnenden Figur, weckte ihre Aufmerksamkeit. Gekleidet in ein luftiges, mit großen Blumen bedrucktes Sommerkleid, die Haare zu einem unordentlichen Dutt frisiert, wirkte sie wie ein bunter Farbklecks in einem grauen Gemälde. Trotz ihres reifen Alters, sie schätzte sie auf Mitte sechzig, erschien sie jung und unbeschwert. Verzaubert verfolgte Theresa jede ihrer Bewegungen.
Irgendwo dudelte ein Radio. Es fühlte sich gut an, zwischen all diesen gutgelaunten Menschen zu sitzen. Charlotte hatte recht gehabt, es fing an, Spaß zu machen.
Mit einem Lächeln beobachtete Theresa, dass auch der zahnlose alte Herr neben ihr ein Auge auf die sich, ihrer Körperfülle wohl nicht bewussten, langsam nähernde Dame geworfen hatte. Mit hektischen Bewegungen begann er seine Auslage umzuräumen, eine ihrer Meinung nach völlig überflüssige Prozedur.
In einem kurzen Moment, sie konnte später nicht sagen, wie lange dieser Augenblick währte, kreuzte sich ihr Blick mit dem der molligen Dame. Und für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie das Gefühl, vor dieser ihr fremden Frau ihre Seele zu offenbaren. Irritiert schloss sie die Augen, um das Band zu trennen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und eine seltsame innere Unruhe überkam sie. Eine besondere Botschaft schien in ihr Unterbewusstsein eingedrungen zu sein und das leichte Gefühl des Glückes, das sie noch vor wenigen Minuten empfunden hatte, wich einem Gefühl der Beklemmung. Als sich ihre Augen wieder öffneten, stand die geheimnisvolle Dame unvermittelt vor Theresas Stand und lächelte ihr hintergründig, aber freundlich zu.
„Sie haben hier ein paar wunderschöne silberne Fotorahmen, wie mir scheint noch aus einer längst vergangenen Zeit“, begann sie ein Gespräch.
„Schauen Sie sich nur um, der ganze Krempel ist aus dem Nachlass meines verstorbenen Mannes“, murmelte Theresa noch ein wenig befangen. Diese Frau war ihr nicht geheuer.
„Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich vielleicht kurz vorstellen darf, mein Name ist Josefine Hazelwood. Ich bin eine geborene Stein, meine ganze Familie stammt aus diesem Ort, den ich allerdings schon vor sehr vielen Jahren verlassen habe.“ Sie wandte sich kurz um und zeigte auf den farbenfrohen Bus. „Zurzeit wohne ich dort. Nur vorübergehend natürlich. Mein Besuch hat vorrangig geschäftlichen Charakter, allerdings, in meiner freien Zeit begebe ich mich auf Spurensuche. Und wie der Zufall es will, habe ich genau auf diesem Foto“, die Dame hielt Theresa den besagten Fotorahmen hin, „meinen Vater Heinrich und seinen Bruder Friedrich wiedererkannt.“
Auf der schon recht vergilbten Fotografie waren neben den beiden Brüdern noch zwei weitere junge Männer abgebildet.
„Einer der Männer wird mein Schwiegervater gewesen sein“, vermutete Theresa. „Ich habe mich nie für die alten vergammelten Familienfotos meines zweiten Mannes interessiert. Zuhause gibt es noch einen ganzen Schuhkarton voll davon, auch ein paar alte Fotoalben müssten noch existieren. Dafür interessiert sich kein Mensch mehr. Nicht einmal mein Stiefsohn Phillip. Ich werde wohl alles wegschmeißen.“
Die Dame in dem bunten Kleid hob entsetzt die Hände und rief: „Bitte tun Sie das nicht! Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen den ganzen fotografischen Nachlass Ihres Mannes abkaufen. Es würde mir sehr viel bedeuten, vielleicht noch weitere Zeugnisse meiner Vergangenheit zu finden.“ Sie versprach, demnächst bei Theresa vorbeizukommen, um sie von dem unerwünschten Erbe zu erleichtern. Dann bezahlte sie einen
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