Todesrennen
elektrisiert von einem völlig anderen und noch seltsameren Gedanken. Er war über die Robustheit seines Aeroplans verblüfft gewesen und dankbar, dass er mit dem Leben davongekommen war – und zwar lange vor Andy Mosers bewundernder Bemerkung, dass Di Vecchio »sie solide gebaut hat, damit sie lange halten«.
Bell schlüpfte in seine Stiefel und eilte im Laufschritt zur Baracke der Zugabfertigung auf dem Güterbahnhof, wo sich, wie er sich erinnerte, ein Telegraf befand. Die erstaunliche Robustheit der American Eagle ergab sich aus mehrfach vorhandenen Verstrebungen und doppelt ausgeführten Lenkvorrichtungen. Ihr Erfinder hatte nicht nur jeweils die besten Werkstoffe verwendet, sondern auch eine Schwachstelle vorausberechnet und bei der Konstruktion darauf geachtet, potentielle Katastrophen zu verhindern.
Ein Erfinder, der auf die hohe Dauerhaftigkeit seines Produkts achtete, schien niemand zu sein, der sich wegen eines Bankrotts das Leben nahm. Ein solcher Mensch, dachte Bell, würde sich aus jedem Misserfolg herauskämpfen und einen Bankrott höchstens als eine kurze überschaubare Durststrecke auf seinem Weg zum Erfolg betrachten.
»Van Dorn«, stellte er sich dem Fahrdienstleiter der New York Central Railroad vor. Er hätte auch noch einen Empfehlungsbrief, der vom Präsidenten der Eisenbahnlinie unterschrieben war, vorzeigen können. Aber der Fahrdienstleiter freute sich, jedem behilflich sein zu können, der an dem Luftrennen beteiligt war.
»Ja, Sir. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte ein Telegramm aufgeben.«
Die Hand des Fahrdienstleiters legte sich sendebereit auf die Messingtaste. »An wen?«
»James Dashwood. Van Dorn Agency, San Francisco.«
»Und welche Nachricht?«
Bell lauschte dem schnellen Stakkato der Sendetaste, als der Fahrdienstleiter die Buchstaben seiner Nachricht als Morsezeichen auf die lange Reise schickte:
UNTERSUCHEN SIE DI VECCHIOS SELBSTMORD.
BESCHLEUNIGEN SIE CELERE-ERMITTLUNG.
EILIG!
22
»Sehen Sie, da fliegt sie!«
Mit Vollgas und begleitet vom Heulen des Antoinette-Motors, das wie reißender Leinenstoff klang, jagte Josephines gelber Eindecker im Morgengrauen an Weehawken, New Jersey, vorbei.
»Propeller drehen!«
Isaac Bell saß bereits im Pilotensitz der Eagle, nachdem er telefonisch erfahren hatte, dass Dmitri Platow und die Van-Dorn-Mechaniker die ganze Nacht gearbeitet hatten, um Josephines alettone und die vom Wind verformten Befestigungsbeschläge auszuwechseln. Die Aviatrice war soeben von Bedloe’s Island gestartet. Bell hatte die Eagle an der Kopfseite des Piers, auf dem er am Vortag gelandet war, aufgestellt, um über den Fluss zu starten. Sein Gnome-Umlaufmotor war bereits angewärmt und startbereit. Er sprang bei der ersten Propellerdrehung an.
»Bremskeile! «
Sie zogen die Bremsklötze vor den Rädern weg, und der Eindecker rollte los. Andy und sein Helfer rannten neben den Tragflächen her, um sie zu stabilisieren, während Bell über die glatten Bretter zwischen den Eisenbahngleisen preschte und hinter Josephine in den Himmel aufstieg.
Er blieb dicht hinter ihr, während sie dem Hudson River stromaufwärts folgten, und suchte die Schiffe und Boote nach Anzeichen für die Anwesenheit Harry Frosts ab. Gleichzeitig übte er, seine Flugmaschine mit einer Hand zu lenken und mit der anderen das Gewehr zu drehen. Nach fünfzehn Meilen schwenkten die beiden gelben Maschinen von der Flussmitte zur New Yorker Seite hinüber, wo Yonkers den Himmel mit seinen Qualmwolken verdunkelte.
Obgleich Bell Josephines Aeroplan folgte, versuchte er mit Hilfe einer Straßenrennkarte zu navigieren, auf der wichtige Landmarken eingezeichnet waren. Er hatte sich das steife Papier auf den Oberschenkel geschnallt und fand den ovalen Empire City Race Track, der zwei Meilen weit landeinwärts zu sehen war. Gleich daneben befand sich eine riesige Lehmgrube, wo Löffelbagger einen neuen Stausee für die Trinkwasserversorgung von New York City aushoben.
Bell fielen Vollblutpferde auf, die bei ihrem Morgentraining über die Rennbahn galoppierten, aber auf dem Innenfeld der Rennbahn war keine einzige Flugmaschine mehr zu sehen, und der einzige Werkstattzug auf dem Eisenbahnbetriebshof war der gelbe Josephine Special. Nachdem er dicht hinter Josephine gelandet war, erfuhr er, dass alle anderen Maschinen, die noch am Rennen teilnahmen, bereits nach Albany gestartet waren.
Während die Mechaniker Benzin, Öl und Wasser in Josephines Tanks füllten und Benzin und
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