Todesriff
nervös. Und das war er normalerweise nie. Früh am Morgen, um sieben, zerschlugen wir die Fenster und drangen in das Haus ein, in dem sie wohnte.” Er brach ab, fuhr sich nervös durchs Haar und suchte ihren Blick.
„ Weiter”,
sagte
sie, „ jetzt will ich alles wissen.”
Er schluckte. „ Goran raste vor Wut, er brüllte, schlug alles nieder, während wir die beiden festhielten.” Steve hörte wieder auf zu sprechen, doc h diesmal sah er sie nicht an. „ Und dann ... dann vergewaltigte er sie - vor unseren Augen, vor den Augen des Polizisten. Sie schrie. Es war schrecklich. Und wir anderen sahen zu.” Seine Stimme war
h
eiser geworden. Er schi en Annabel vergessen zu haben. „ Dann befahl er mir, sie zu erschießen. Er brüllte mich an, doch ich konnte es nicht tun. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Plötzlich wurde mir klar, was ich die ganze Zeit getan hatte.
Da
zog Markus seine Waffe und erschoss die Frau für mich.”
„ Hör auf!”
„ Nein! Du wolltes t alles hören.” Er holte Luft. „ Danach befahl Goran mir, den Mann zu erschießen. Goran schrie: ‚ Schieß! Schieß! Schieß!‘ Da drückte ich ab.” Er schluckte wieder. „Aber d er Mann hat überlebt. Ich weiß nicht, warum ich ihn nicht tödlich getroffen habe. Er muss wieder zu sich gekommen sein. Er hat unsere Namen in Erfahrung gebracht, weil er Goran von früher kannte, und er bekam heraus, dass wir uns nach Australien abgesetzt hatten. Er hat einen nach dem anderen getötet. Ich bin der Letzte auf seiner Liste.”
Sie sprachen minutenlang nichts. Von draußen drang das immer gleiche Rauschen des Pazifiks zu ihnen herein. Annabel wünscht einfach aus einem Alptraum aufzuwachen. Doch als sie die Augen für einen Moment schloss und wieder öffnete, saß sie noch immer da – und Steve neben ihr.
„ Warum? Warum nur hast du das alles getan?”
Er stand auf und ging zur Verandatür, blickte hinaus.
„ Meine Eltern , meine Schwester und mein jüngerer Bruder lebten im Kosovo. Ich habe in Deutschland bei meiner älteren Schwester und ihrem deutschen Mann gewohnt. Habe Chemie studiert und im Büro meines Schwagers gearbeitet. Als der Krieg ausgebrochen ist, sind
Serben
in das Haus meiner Eltern eingedrungen und haben
meine Mutter
und meine Schwester
vergewaltigt und danach getötet, mein Vater
und mein Bruder
wurden gefoltert und
bei lebendigem Leib verbrannt. Da bin ich zurückgekommen und habe Rache geschworen. Goran Hentschel hat mich in seine Gruppe aufgenommen.” Steve drehte sich zu ihr um. “Weißt du, was Operante Konditionierung bedeutet?”
Sie schüttelte den Kopf.
„ Gehirnwäsche. In Trainingsprogrammen soll durch Brutalisierung und Desensibilisierung der biologisch starke Widerstand des Menschen gegen das Töten gebrochen werden. Sodass jeder, der das Programm durchläuft, nach und nach davon überzeugt ist, dass nur der überlebt, der Gewalt akzeptiert. Brutale, aggressive Verhaltensweisen werden automatisiert.”
Annabel
s
Hände und Füße fühlten sich eiskalt an.
„ Du warst mein erster Auftrag hier in Australien ... nach zwei Autodiebstählen.”
Sie be
obachtete
ihn. Er hatte nichts mehr zu verlieren.
„ Mit jedem neuen Mord wollte ich die alten vergessen. Dein Tod sollte wie ein Unfall aussehen. Wir haben blutige Fische ins Meer geworfen. Zur Sicherheit sollte ich auf dich schießen, wenn du auftauchen würdest. Doch du hast ‚ Schieß! Schieß! Schieß!‘ gerufen - so wie damals Goran. Da konnte ich nicht mehr. Es war, als wäre ich aus einem Albtraum aufgewacht.” Er sah wieder in die Nacht hinaus.
Das Meer rauschte wie Jahrmillionen vor diesem Tag und noch lange nach ihm. Annabel spürte, wie sie zu zittern begann.
90
„
Bitte
richten Sie sich in meinem Büro ein!” Flimms begann, einen Schreibtisch leer zu räumen, auf dem sich Akten stapelten. „ Alles altes Zeug, muss ins Archiv. Aber keiner kümmert sich drum.”
Shane und Tamara halfen ihm, die Papierstapel
wegzuräumen
.
„ Ihre Exfrau hat wohl was gegen den
Berufswunsch
Ihrer Tochter”, bemerkte Flimms.
„ Ein Ehemann, der Polizist ist, war ihr genug”, antwortete Shane.
„ Meine Frau sagt auch, wenn wir Kinder hätten, würde sie ihnen verbieten, zur Pol izei zu gehen.” Flimms lachte. „ Na ja, man hat es schon mit allerlei Verrückten zu tun. Ich muss mich gerade mit
so
einer hysterischen Millionärin rumschlagen, die glaubt, dass jemand sie umbringen will. Vorgestern rief sie uns, weil ihre Putzfrau
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