Todesriff
halbe Stunde wird dir ja reichen, oder?“, sagte Kim und er nickte.
Sein Zimmer lag zu ebener Erde auf der anderen Seite des nierenförmigen Pools, um den herum die Räume in zwei Geschossen hufeisenförmig angelegt waren. Vor seiner Tür stand ein Liegestuhl, und eine Palme wuchs kerzengerade in den orangefarbenen Himmel. Im glitzernden Abendrot, das sich im Becken spiegelte, schwamm eine Luftmatratze. Er schaltete die Klimaanlage höher, schlug die dunkelgrüne Tagesdecke zurück, nahm einen Chivas aus der Minibar. Da es kein Eis gab, goss er einen Schuss kaltes Wasser ins Glas und legte sich angezogen aufs Bett. Die durchgeschnittene Kehle des Ermordeten tauchte plötzlich wieder vor ihm auf. Er
nippte a
m
Whisky, und allmählich vermischte sich das Blut Markus Auers mit dem vom Abendrot gefärbten Wasser im Swimmingpool, und er
schlief ein
.
10
Der schäbige Apartmentblock in der Browning Street lag inmitten von Gewerbebetrieben. An der State High School war er gerade vorübergefahren. Niemanden sah er auf der Straße. Niemand würde sich an ihn erinnern. Achtzehn Uhr achtundvierzig. Er schwitzte. Der Außen-Thermostat im Auto zeigte noch immer achtundzwanzig Grad an. Er nahm das Messer, das er unter die Fußmatte des Beifahrersitzes gelegt hatte, und steckte es in die Innentasche seiner dünnen Jacke. In der anderen Innentasche tastete er nach dem Foto, von dem die obere linke Ecke fehlte. Die Fahrertür quietschte, als er sie öffnete. Warme Luft schlug ihm entgegen, ließ ihn einen Moment taumeln. Viel zu schwach fühlte er sich plötzlich für das, was er vorhatte. Sollte er nicht besser umkehren, zurück ins Motel, es M orgen noch einmal angehen - oder überhaupt ganz abreisen, alles vergessen, was geschehen war, und beten? Aber e s konnte keinen Gott geben .. . Nicht nach all dem. Er hielt sich am Rahmen der Fahrertür fest, atmete tief durch und versuchte, seine Gedanken wieder zu fokussieren. Er hatte doch nicht den ganzen langen Weg gemacht, um jetzt aufzugeben, weil es zu heiß war? Entschlossen schlug er die Autotür zu und schritt über den Asphalt, hinüber zum schmucklosen Eingang des Apartmentblocks. Zielstrebig und wieder ruhig.
Die Theke einer Rezeption. Aus dem Hinterzimmer drangen Stimmen einer Fernseh- oder Radio-Talkshow. Er musste also den Portier fragen. Der Portier würde sich an ihn erinnern, wenn die Po
liz
ei kam. Aber w as blieb ihm anderes übrig? Bis die Po
liz
ei herausbekam, wer er war, hatte er seinen Plan schon in die Tat umgesetzt. Er wusste, wie lange so etwas dauerte. Und so drückte er auf die Klingel.
Nichts geschah. Während dieser Sekunden quälten ihn Spekulationen über den Portier, und er hoffte, er war ein alter Mann, der sich später an nichts erinnern konnte. Es roch nach Essen.
Der Portier schlurfte aus dem Hinterzimmer. Er war tatsächlich alt und hatte nur noch einen Arm.
Er war erleichtert. „ Ich muss zu Andrew Barber.”
Der Alte schüttelte den Kopf und zeigte mit einem zitternden Fin ger auf das gefüllte Postfach. „ Er wollte in ein paar Tagen wieder zurück sein. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?” Seine Stimme klang kräftiger als erwartet.
Es wäre ganz einfach. Er müsste jetzt bloß Nein sagen. Dann würde er zurück zum Auto gehen und das nächste Flugzeug nach Hause nehmen. Jennifer und die Kinder würden ihn vom Flughafen abholen ...
„ Was ist? Wollen Sie nun `ne Nachricht hinterlassen oder nicht?”
„ Nein, ich komme wieder.”
Der Portier zuckte
gleichgültig
mit einer Schulter
.
„ Moment “, sagte er , „ aber Sie könnten mir seine Telefonnummer geben.”
„ Von mir aus.”
Er
kritzelte
ein paar Ziffern auf einen Zettel. „D as ist hier unten bei mir, ich stell Sie dann hoch.”
Die Glastür fiel hinter ihm zu. Aufgestautes Adrenalin schwamm in seinen Adern und machte ihn nervös und übellaunig. Seine gebündelte Energie war ins Leere gegangen - wie ein Schuss, der das Ziel verfehlt. Depressionen wür den ihn befallen, das kannte er . Als er die Hand unter der Jacke hervorzog, war sie blutbeschmiert. Er hatte sich selbst geschnitten. Auf einmal registrierte er einen kalkigen Geschmack im Mund. Sie halten ihn fest, zerren an seinem Kopf, damit er hinsieht. Einer schießt. Blut spritzend, wird ihr Kopf an die kalkige Kellerwand geschleudert ... und er ... er ... er taumelte und konnte sich gerade irgendwo noch festhalten.
„ Fehlt Ihnen was?” Ein Männergesicht mit Bartstoppeln erschien vor seinem
Weitere Kostenlose Bücher