Todesritual: Thriller (German Edition)
mir keine Sorgen machen muss.«
Es war ihm ernst. Und Max fand es kein bisschen komisch. 1997 hatte Joe im Abstand von wenigen Monaten beide Eltern verloren, im Jahr darauf war sein jüngerer Brüder an einem Herzinfarkt gestorben. Seitdem dachte Joe oft über die Sterblichkeit nach, insbesondere seine eigene. Max hatte ihm das immer zugestanden. Er wusste, dass Joe eine Angst vor dem Sterben hatte, die er so nicht kannte. Max verschwendete keine Gedanken an den Tod, weil es dazu keinen Grund gab. Er war allein auf der Welt. Seine Eltern waren tot. Er hatte keine Frau, keine Freundin, keine Kinder, keine Geschwister, keine Neffen und Nichten. Kurz gesagt: keine Verantwortung. Er ließ niemanden zurück, musste sich um niemanden Sorgen machen, hatte keinen Grund, am Leben festzuhalten. Joe dagegen hatte eine siebenköpfige Familie mit einer liebenden Ehefrau. Er wollte für immer und ewig bei ihnen bleiben.
»Wenn es einen Himmel gibt, meinst du, die lassen mich rein?«, fragte Max zweifelnd. »Meinst du, Gott wird mir meine Missetaten vergeben?«
»Abwarten.«
»Was für ein Zeichen soll ich dir denn geben?«
»Ach, keine Ahnung«, sagte Joe achselzuckend. »Irgendwas – sodass ich weiß, dass es von dir kommt.«
»Und du würdest das Gleiche für mich tun, stimmt’s?« Max lächelte.
»Worauf du dich verlassen kannst. Ich habe mir schon was ausgedacht.«
»Könntest du auch jetzt was für mich tun – jetzt sofort?«
»Klar«, sagte Liston.
Und Max brachte endlich das ungute Gefühl zum Ausdruck, das in ihm gewachsen war, seit er das Boxstudio betreten hatte.
»Sag mir, warum du mich herbestellt hast.«
»Ich mochte Eldon Burns nicht. Es tut mir leid, das hier und jetzt so sagen zu müssen, aber es ist die Wahrheit. Eldon war eine Katastrophe für Miami – schlimmer als alle Wirbelstürme, Rassenunruhen und Drogenwellen. Die kommen und gehen. Aber Leute wie Eldon kommen und gehen nicht wieder. Ihre Methoden finden Nachahmer, sie werden weitergetragen, verfeinert, neu aufgelegt. Ricon macht mit Eldon das, was Eldon mit hunderten von Menschen gemacht hat. Man kann das göttliche Gerechtigkeit nennen, aber das ist es nicht. Es ist das ewig gleiche ›Passendmachen‹. Und ich spiele da nicht mit. Ich habe das damals nicht gemacht, und ich werde es auch heute nicht tun.
Für mich ist das hier nicht Eldon Burns, der ermordet wurde. Für mich ist das ein alter Mann, der kaltblütig erschossen wird, und keiner schert sich drum. Und ich sehe all die Folgen, die das hat. Das Medienkarussell: ein wehrloser, weißer alter Mann wird in einem schwarzen Viertel ermordet – dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin und in dem auch du ein paar Jahre verbracht hast. Liberty City wird offiziell durch den Wolf gedreht und dem Erdboden gleichgemacht werden. Die ganzen kleinen Fortschritte, die hier gemacht wurden und über die nie einer ein Wort verliert – das zählt alles nichts mehr. Das geht alles wieder den Bach runter. Für die vielen Waffen und Drogen hier machen sie die bescheuerten Rapper verantwortlich, und Ricons frisch gegründete Schlägertruppe wird hier einmarschieren und den Leuten die Köpfe einschlagen, bis es endlich wieder Rassenunruhen gibt.«
Joe war außer Atem, er schwitzte. Max wartete, bis er sich wieder gefangen hatte, bevor er antwortete.
»Das ist nicht dein Kampf, Joe.«
»Ich mache es zu meinem Kampf.«
»Du hast nur noch sieben Monate bis zur Pensionierung.«
»Das heißt, ich habe noch sieben Monate, das zu Ende zu bringen.«
»Aber es ist nicht mehr so wie früher«, sagte Max. »Als wir hinter Solomon Boukman her waren, stand uns die Welt noch offen. Wir konnten riskieren, dass Eldon uns feuert, weil wir jung waren und noch mal ganz von vorn anfangen konnten. Aber wenn das hier vorbei ist, gehst du nirgends mehr hin. Du kannst nicht noch mal von vorn anfangen. Wenn das rauskommt, nehmen sie dir deine Pension.«
»Bis die dahinterkommen, sind sie längst ihre eigene Pension los.«
»Und was ist mit Jet? Denk wenigstens an ihn.« Jethro – Jet – Liston war Joes ältester Sohn und Max’ Patenkind. Er war ein vielversprechender Basketballspieler gewesen, bis ein übles Foul seiner Karriere ein Ende gesetzt hatte. Jetzt war er Streifenpolizist, genau wie einst sein Vater.
»Es wird nicht so weit kommen, Max. Ich habe einen Plan.«
Max wusste, was Joe von ihm wollte.
»Ich kann dir dabei nicht helfen, Joe«, sagte er. »Ich bin kein Bulle mehr. Ich bin ein kleiner
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