Todesritual: Thriller (German Edition)
das beruhte auf Gegenseitigkeit.«
»Was sagt dir das?«
»Die wollen den Mörder nicht kriegen.«
»Ganz genau.«
»Aber wir wissen ja, wie das bei Auftragsmorden ist«, sagte Max. »Man sucht nicht den Killer. Man sucht denjenigen, der ihn bezahlt hat. Das braucht Zeit und Ausdauer. Je wichtiger das Opfer, umso länger dauert es. Viel Buddelei in dunklen Ecken. Und bei Eldon kann man sicher sein, dass das eine größere Ausgrabung wird.«
»So sieht es aus«, sagte Joe. »Nur wird bei Eldon wohl nicht viel mehr gebuddelt werden als sein Grab. Morgen früh wollen sie den Medien erzählen, dass es ein Jugendlicher aus dem Viertel war, der sich mit dem Mord den Eintritt in die Gangsterwelt verschafft hat.«
»Du machst Witze.«
»Schön wär’s.« Joe legte die Stirn in tiefe, zerklüftete Falten. »Sie wollen nicht graben, weil ihnen wahrscheinlich nicht gefallen wird, was sie finden werden. Eine Ahnung haben sie ja schon, was da unten alles so liegt. Die MTF hat viele Unschuldige aus dem Verkehr gezogen. Die meisten sitzen lebenslänglich. Wenn bei den Ermittlungen jetzt rauskommt, dass auch nur einer von denen entlassen werden muss, was dann? Womöglich würde es einen Freispruch nach dem anderen geben. Und dann die ganzen millionenschweren Entschädigungsklagen. Kann die Stadt sich gar nicht leisten.
Es geht das Gerücht, dass der Polizeipräsident Bürgermeister werden will. Er und Eldon waren ziemlich dicke. Wenn das alles rauskommt, wäre seine Wahlkampagne schon auf dem Reißbrett gescheitert.«
»Also setzen sie Ricon auf den Fall an, weil es den einen Scheißdreck interessiert, ob Eldons Mörder ungeschoren davonkommt«, sagte Max.
Sie schwiegen. Max schaute noch einmal die Fotos durch und betrachtete das getrocknete Blut auf dem Fußboden: mehr war von Eldon Burns nicht geblieben.
»Eldon war einer der Menschen, bei denen ich mir nie vorstellen konnte, dass sie mal sterben«, sagte er. »Schon gar nicht so. Niemals. Ich dachte, der wird hundertzehn und stirbt dann im Schlaf.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Joe. »Dass jemand stirbt, der einem nahesteht, ist einfach nicht zu begreifen. Warum er, warum jetzt? Das sind Fragen, die keiner je beantworten kann; man kann nur sagen, es ist Gottes Wille.«
»Oder es ist eben so, wie es ist.«
»Manche Menschen werden mit dem Alter auch religiöser.«
»Eldon wahrscheinlich nicht«, sagte Max.
»Und du? Früher bist du in die Kirche gegangen, wenn du ein Problem hattest.«
»Ein Problem mit einem Fall «, korrigierte Max. Er hatte sich das angewöhnt, als er noch Polizist gewesen war. Wenn er mit einem Fall nicht weiter gekommen war, hatte er sich die nächstgelegene, ruhigste und leerste Kirche gesucht. Raus aus dem unaufhörlichen Lärm im Büro – dem Klingeln der Telefone, dem Geklapper der Schreibmaschinen, den Streitgesprächen, den Frotzeleien – und der rauchgeschwängerten Luft, in die überarbeitete Polizisten den Gestank ihrer ungesunden Ernährung und durchzechten Nächte ausdünsteten. Er hatte sich auf eine Kirchenbank gesetzt, war die Berge von Informationen durchgegangen, die er im Kopf hatte, und hatte sich Notizen gemacht, weil er hoffte, auf die eine entscheidende Information zu stoßen, die erklären würde, warum Menschen einander all diese furchtbaren, grausamen und kranken Dinge antaten. Manchmal fand er, was er suchte: die Spur, der nachzugehen er vergessen hatte, den unscheinbaren Hinweis, der neben den aufregenderen Fakten verblasst war, die Bemerkung eines Zeugen, der er nicht genug Beachtung geschenkt hatte. Und manchmal war er auch nicht weitergekommen: Ein einsamer Mann in einer leeren Kirche, der die Buntglasfenster und die Steinheiligen betrachtete und nicht weiterwusste.
»Fragst du dich nie, was uns erwartet – nach dem hier?«, fragte Joe.
»Nein.«
»Niemals?«
»Niemals.«
Joe ließ den Blick durch die Halle schweifen und schaute dann seinen Freund an.
»Ich schon. Und ich muss dich was fragen. Klingt vielleicht komisch.«
»Lass mich das beurteilen. Raus damit.«
»Wenn du vor mir … gehst … will sagen, wenn du zuerst stirbst, könntest du mir einen Gefallen tun?«
»Wie bitte? Ich hab dann doch genug zu tun mit dem Totsein.«
»Ich meine, wenn das hier nur die erste Station einer langen Reise ist, die uns allen bevorsteht, wenn nach dem hier – nach diesem Leben – noch was kommt, könntest du mir Bescheid geben? Gib mir ein Zeichen. Lass mich wissen, dass es dir gut geht und dass ich
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