Todesritual: Thriller (German Edition)
Straßen, die öde, wasserlose Landschaft, die Menschen, die in Lumpen gehüllt wie betäubt umherwanderten, mit nackten, geschwollenen Füßen auf steinigem Boden, wie die Opfer einer furchtbaren Naturkatastrophe. Die Kubaner lebten an der Armutsgrenze, aber verzweifelt sahen sie nicht aus, nur erschöpft, so als hätten sie sich mit einem Leben voller staatlich auferlegter Entbehrungen abgefunden.
Max saß an der Theke des Vista del Golfo , einer von sechs Bars im Hotel Nacional. An den Wänden hingen Bilder von berühmten Gästen des Hauses: eine Ruhmeshalle der Schauspieler und Politiker, Musiker, Sportler und Taugenichtse, deren knallpink gerahmte oder thematisch zu Collagen arrangierte Fotos sämtliche Wände und Nischen einnahmen. In einer Ecke stand eine goldene Wurlitzer-Musikbox wie ein neonfarbener Sarkophag, und in Vitrinen waren vereinzelte Erbstücke ausgestellt: ein Plattenspieler, der einst Ava Gardner gehört hatte, eine längst grün gewordene Underwood-Schreibmaschine, eine Baseballkappe von Michael Moore, Lucky Lucianos Rasierzeug mit Monogramm und Gary Coopers Zigarettenetui.
Die Bar war überfüllt, die Luft dick von Zigarrenrauch und leisen Unterhaltungen. Sitzplätze gab es nur noch am Tresen, auf dem eine Komposition aus abgestanden aussehenden rot-weiß-blauen Cocktails thronte, in denen statt einem Schirmchen die Nationalflagge steckte.
Der Barmann nahm ihn mit überschwänglicher Begrüßung und Handschlag in Empfang. Max bestellte einen Kaffee und erwartete, die kubanische Variante serviert zu bekommen, die er aus Miami kannte – einen Espresso, der so dick und süß war, dass der Löffel drin stehen konnte –, bekam aber stattdessen einen unspektakulären schwarzen Kaffee in einer kleinen Tasse vorgesetzt. Er probierte ihn und war enttäuscht. Bustelo war besser. Bustelo war der beste.
Rechts und links von ihm ließen sich zwei Frauen nieder, die zu seiner Linken aß ein Sandwich mit gegrilltem Schweinefleisch und trank Bier aus der Flasche, die andere sah mit ihrem Make-up und dem engen grünen Seidenkleid mit Tiger- und Palmenmuster aus, als hätte sie ein heißes Rendezvous vor sich. Max spürte, wie er in Stereo taxiert wurde. Er schaute stur geradeaus, nur leider direkt in einen großen, leicht geneigten Spiegel, der über den aufgereihten Flaschen Havana Club Rum an der Wand hing. Beide Frauen sahen ihn an.
Die mit dem Sandwich konnte als Erste Blickkontakt mit ihm aufnehmen, lächelte und sagte: » Hola .«
Max drehte ganz leicht den Kopf und nickte.
» Inglish ?«, fragte sie.
»Nein.«
»Woher kommen?« Ihr Akzent klang, als hätte sie die Tony Montana School of English absolviert – mit Auszeichnung. Sie war von hellbrauner Hautfarbe und korpulent, dank ihres Bauchumfangs stand das weite T-Shirt, das sie trug, ein gutes Stück vor dem langen Jeansrock. Die Frau zu Max’ Rechter warf ihr einen bösen Blick zu: Er war die Beute, die ihr durch die Lappen gegangen war.
»Kanada«, sagte er.
»Schönes Land.«
»Waren Sie schon mal da?«, fragte Max. Nur sehr wenige Kubaner durften offiziell ins Ausland reisen. Bis vor Kurzem war ihnen nicht einmal der Zutritt zu den Hotels gestattet gewesen. Die Zeiten hatten sich geändert, als Fidel Castro in Rente ging. Das Hotelverbot war aufgehoben worden, auch wenn das rein symbolisch war. Der Durchschnitts-Kubaner verdiente achtzig Cent pro Tag und konnte sich einen Aufenthalt dort ohnehin nicht leisten.
»Ich schon viele Menschen von Kanada kennen. Nette Menschen. Muy simpáticos. Also ich denken nette Menschen – schönes Land.« Ihre Zähne erinnerten Max an ein Elendsviertel, sie waren allesamt graubraun und stützten sich auf ihre Nachbarn. »Du heute angekommen, ja?«
»M-hm.«
»Erstes Mal in Kuba?«
»Ja.«
»Und gefällt dir?«
»So weit, ja.«
»Wie du heißen?«
»John.«
» Qué coincidencia !« Sie klatschte in die Hände und rückte mit einer einzigen Bewegung sich selbst, ihren Hocker, ihr Essen und ihr Getränk ein Stück näher an Max heran. »Name in Espanisch ist Juan. Mein Name Juanita.«
»Wie nett«, sagte er und bemerkte, dass der Barmann sie nicht aus den Augen ließ. In seiner Miene war keine Missbilligung zu erkennen. Als ihm auffiel, dass Max ihn anstarrte, setzte er ein breites Lächeln auf.
»Du hier mit deine Frau?« Sie schaute auf seinen Ehering. Er hatte ihn kurz vor seiner Abreise aus Miami angesteckt, zum ersten Mal seit 19 Jahren. Er passte ihm gerade noch.
»Nein. Sie ist
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