Todesritual: Thriller (German Edition)
reisten und ihren Horizont erweitern wollten. Die Einzelreisenden waren ausnahmslos Männer. Ein paar Geschäftsleute, überwiegend aber die Sorte Mann, die auf allen Flügen in verarmte Drittweltländer anzutreffen war: Fettwänste mittleren Alters auf der Suche nach billigen Nutten. Keiner seiner Landsleute sprach übertrieben laut oder hielt unnötig lange Blickkontakt. Sie zogen keinerlei Aufmerksamkeit auf sich. Max fand das absurd und traurig und witzig zugleich. Sie waren Bürger des Land of the Free auf dem Weg ins Reich des blutsaugenden kommunistischen Tyrannen Castro – für ein bisschen Sightseeing und Großtuerei auf der Achse des Bösen –, und sie hatten die Hosen voll, ihre eigene Regierung könne ihnen auf die Schliche kommen und sie einlochen.
Der Zollbeamte hatte erst in Max’ Reisepass, dann in sein Gesicht geschaut, sein Flugticket überprüft und ihn durchgelassen. Kein Problem.
» Bienvenido a Cuba.«
»Gracias.«
In der Gepäckhalle standen weibliche Sicherheitsbeamte in engen beigefarbenen Uniformen herum: Minirock, hochhackige Schuhe, Netzstrümpfe, Pistolengürtel und komplettes Make-up. Ihre Gesichter waren hart, verhärtet von zu wenig Geld und zu langen Arbeitstagen – Schönheit in Granit gehauen.
Max konnte nichts dagegen tun, er lächelte eine von ihnen an. Sie lächelte zurück.
Eine Sekunde lang wünschte er, die Umstände wären andere, oder dass er früher gekommen wäre.
Die Neuankömmlinge wurden in einem klapprigen chinesischen Bus zu ihren Hotels gekarrt, der an ein mutiertes Plastikspielzeug erinnerte, dessen Ziel und Zweck es gewesen war, dem Kind alsbald langweilig zu werden und auf dem Müll zu landen. Das Gefährt quietschte und schepperte, bei jeder Unebenheit rüttelten sich die Fenster fast aus den Rahmen, die Klimaanlage machte Mucken, und die Sitze waren zu hart und zu klein.
Hinter der Scheibe boten sich die ersten Eindrücke von dem verbotenen Land, monochromatische Ansichten mit vereinzelten grellbunten Pinselstrichen. Alles war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte, und doch wieder ganz anders. Die Häuser waren uralt oder nicht mehr ganz neu. Sie waren nicht direkt einsturzgefährdet, aber alles schien auf dem letzten Loch zu pfeifen und dringend einer Reparatur und eines neuen Anstrichs zu bedürfen. Die wenigen Baustellen auf dem Weg sahen verlassen aus, als wären sie aufgegeben worden, die Baumaschinen wirkten uralt und ungeeignet, sodass schwer zu beurteilen war, ob da gerade gebaut oder abgerissen wurde. Autos waren nur wenige unterwegs, die meisten sehr langsam. Max fiel auf, dass es überhaupt keine Werbung gab – keiner sagte einem, wie man sein Geld loswerden konnte. Dafür umso mehr staatliche Reklamewände . Sie priesen La Revolución und verdammten den Imperialismo , aber auch darin folgten sie der Americana der Fünfzigerjahre. Die Propaganda hatte sich alte Autokinoplakate von Filmmonstern zum Vorbild genommen: George W. Bush als Bush-zilla, der Feuer auf Iraker spuckte, Bush-acula , der Vampir mit den roten Augen und den blutigen Eckzähnen, und Bush-enstein , ein dollargrünes Ungeheuer mit kantigem Kopf. Der Anblick dieser Poster entlockte den Nicht-Amerikanern im Bus das eine oder andere Gelächter und ein paar Jubelrufe, Max’ Landsleuten aber war unwohl dabei. Sie erstarrten in ihren Sitzen und taten, als hätten sie nichts gesehen. Max selbst fand die Plakate plump, aber amüsant – und unmöglich ernst zu nehmen. Sie mussten für Kinder gemacht sein, deren weiches, noch beeinflussbares Hirn sich leicht mit paranoidem Gedankengut verformen ließ – je jünger, desto besser. Was an Graffiti zu sehen war, war vom Staat in Auftrag gegeben – und davon gab es reichlich. Von den höchsten, sichtbarsten Mauern der Stadt schrien lange, säuberlich gepinselte Zitate von José Martí, Che Guevara und Fidel Castro herab, an vielen Häusern prangten Wandgemälde von Flaggen und Männern mit Barett, Bart und Kampfanzug: die siegreichen Helden als militarisierte Hippies, die statt Friedenszeichen die geballte Faust in die Luft reckten und Gewehre statt Bongs vor sich hertrugen. Durch diesen rhetorischen Overload bewegten sich zu Fuß, mit Fahrrädern und Mopeds oder Pferdekarren die Menschen, deren Hautfarben von Schwarz bis Weiß reichten, wobei ein tiefer, wettergegerbter Olivton überwog: eine Nation in Goldbraun. Sie sahen erschöpft, aber gesund aus. Max musste an seine ersten Eindrücke von Haiti denken: die löchrigen
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