Todesritual: Thriller (German Edition)
Verkäufer erschossen, weil sie auf einem »Patti-Hearst-Trip« gewesen sei. Er habe sie aufzuhalten versucht, sagte er. Kurz nach dem Vorfall war sie wenige Meilen von der Tankstelle entfernt am Straßenrand aufgefunden worden. Die Polizei berichtete, ihre Leiche habe weitere Verletzungen aufgewiesen, Knochenbrüche, die vermutlich davon herrührten, dass man sie aus einem fahrenden Fahrzeug gestoßen hatte. Auch das bestritt Gwenver und erklärte, er habe sie ins nächste Krankenhaus gebracht.
»Wie, sagten Sie, war Ihr Name?«, fragte Gwenver.
»Max Mingus.«
»Verwandt mit Charlie Mingus, dem Jazzmusiker?«
»Nicht blutsverwandt. Mein Vater war Jazzmusiker und hat seinen Namen angenommen. Als Hommage, nehme ich an.«
»Und Sie haben das nicht wieder rückgängig gemacht?«
»Nein.«
Schweigen.
»Unser PIE-Treffen findet jeden Donnerstag statt – also morgen. Kommen Sie doch einfach dazu.«
»Was ist ein PIE-Treffen?«
»PIE – Panther im Exil. Das ist unsere Selbsthilfegruppe.«
27
Hätte Max sämtliche Anwesenden festgenommen und dem FBI übergeben, die dreizehn Männer und Frauen im Zimmer hätten ihm fast eineinhalb Millionen Dollar eingebracht. Jeder und jede einzelne von ihnen war mit Hilfe von Waffengewalt und Entführungen aus den USA geflohen. Einige hatten mehr als einmal gemordet, und von denen wiederum hatten bis auf einen alle einen Polizisten getötet. Das FBI wusste sehr genau, wo sie sich aufhielten, hatte aber bislang keinen Versuch der Festnahme unternommen. Vielmehr stellte es über Vermittlung der Interessenvertretung der USA jedes Jahr aufs Neue formelle Auslieferungsanträge, die jedes Jahr aufs Neue von der kubanischen Regierung abgelehnt wurden.
Die Panther im Exil hatten sich an einem großen Holztisch versammelt, auf dem in der Mitte ein Krug Wasser und mehrere umgedrehte Gläser standen. Alle trugen schwarze T-Shirts, Kampfanzüge und Stiefel. Manche mit passendem Barett. Mit ihren Fahnungsfotos hatten sie nur noch wenig Ähnlichkeit. Sie waren vom Alter abgemagert oder aufgequollen, kahl oder grau geworden, die Jahre hatten ihnen den Rücken gekrümmt, die Hände steif werden lassen und die Gesichter ruiniert. Die dreißig und mehr Jahre in Kuba hatten ihr Übriges getan. Sie trugen den gleichen Gesichtsausdruck wie ihre gewählten Landsleute, diesen Blick wissender Ernüchterung, der bei Alten und Jungen gleichermaßen zu sehen war, die Gewissheit, dass der Topf am Ende des Regenbogens nicht einmal groß genug sein würde, um reinzupinkeln.
Earl Gwenver bildete die einzige Ausnahme. Earl Gwenver sah gut aus. Er war von mittlerer Größe und ebensolchem Körperbau, sein rasierter Kopf glänzte, sein Gesicht war schmal und hart. Mit knapp sechzig war er der Jüngste in der Runde, sah aber zehn Jahre jünger aus. An guten Genen lag das nicht. In einem Armenhaus wie diesem nutzten die nicht viel. Gwenver verdiente mit irgendetwas reichlich Geld – sehr viel mehr als den offiziellen Durchschnittslohn von Peanuts und ein paar Zerquetschten. Sein Panther-Outfit war von Nike, die weißen Swooshs auf der Brust und dem Oberschenkel fanden ihr perfektes Gegenstück in Gwenvers ganz ähnlich geformten buschigen Augenbrauen. Seine Augen glänzten wie die goldenen Stecker in seinen Ohrläppchen, und statt Stiefel trug er Nike Shox in Schwarz und Rot, passend zum schwarz-roten Perlenarmband an seinem rechten Handgelenk.
Er hatte sich mit Max vor einem dreigeschossigen Haus in der Nähe des Gran Teatro auf dem Prado verabredet, jener Flaniermeile, die mitten durch das Herz der Altstadt läuft. Einst war dieses Haus pastellblau gestrichen gewesen, aber die Fassade war schon vor vielen Jahren rissig geworden, riesige Stücke Putz waren abgefallen und hatten große graue und braune Flecken freigelegt. Von den Balkonen aller Stockwerke hingen Blumenampeln und -töpfe, vermutlich um von den schlaffen Wäscheleinen und den rostigen, verbogenen Metallbalustraden abzulenken, deren Verankerungen sich zusehends aus dem Mauerwerk lösten.
Gwenver führte Max ins Haus, wo es drückend heiß und gerammelt voll war. In jedem Winkel wohnte eine Familie, zwischendrin wurden Geschäfte betrieben. Sämtliche Türen standen weit offen, um für etwas Durchzug zu sorgen. Sie kamen an einer improvisierten Kunstgalerie mit Atelier vorbei, wo knallig bunte Leinwände ohne Rahmen mit kleinen Nägeln an der Wand befestigt waren. Mittendrin drei Frauen an der Nähmaschine, Kinder beim Essen und ein alter Mann
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