Todesrosen
in einem kleinen Fischerdorf in Nordisland kennenlernten, war Herbert der Anführer. Er war etwas älter als Kalmann und derjenige, der sagte, wo es langging. Schon damals fuhr er nahezu krankhaft auf alles Amerikanische ab. Sie blieben auch in Verbindung, als beide nach Reykjavík gegangen waren, und damit begann die Blütezeit ihrer Zusammenarbeit. Herberts Vater war zu Anfang der siebziger Jahre zweiter Steuermann auf einem der Frachtschiffe der isländischen Dampfschifffahrtsgesellschaft und betrieb Alkoholschmuggel in großem Stil. Das Zeug kam entweder kistenweise oder in Fünfundzwanzigliterfässern, von denen jeweils vier zusammengebunden an einer bestimmten Stelle über Bord geworfen wurden, meist unweit des Leuchtturms von Garðsskagi, dem südwestlichsten Punkt der Halbinsel Reykjanes. Herbert und Kalmann fuhren danach gemeinsam auf einem kleinen Boot, das Herberts Onkel in Sandgerði gehörte, dorthin und fischten das Zeug raus. Nicht selten schafften sie bei so einer Aktion fünftausend Liter Schnaps an Land und verkauften ihn dann in den Dörfern auf der Halbinsel Reykjanes, in Reykjavík und bis nach Borgarnes an Vergnügungslokale. Sie brauchten sich nicht einmal die Mühe zu machen, den Schnaps auf Flaschen zu ziehen. Die Besitzer dieser Lokale kauften Kalmann und Herbert alles ohne Wenn und Aber ab, denn sie kamen dadurch an Alkohol, der nur ein Drittel von dem kostete, was im staatlichen Monopolladen dafür verlangt wurde. Außerdem bereitete es ihnen eine gewisse Genugtuung, diese Institution zu umgehen.
Herbert kaufte außerdem den Trawlerbesatzungen sowohl Cannabisprodukte als auch stärkere Drogen ab, die er selber für den Endverbraucher abpackte und unter die Leute brachte. Kalmann selbst hielt sich, so gut es ging, aus dem operativen Geschäft heraus, sodass Herbert schon bald alleine für die gesamte Abwicklung zuständig war. Das war damals zur Blütezeit der Hippies, und Hasch war »in«. Die Seeleute verdienten zwar auch daran, doch Kalmann und Herbert machten mehr Profit, als sie je für möglich gehalten hätten.
In diesen Jahren fuhr Herbert zum ersten Mal nach Amsterdam. Nirgends konnte man einfacher an Drogen herankommen als in Holland, und er nahm Kontakt zu Leuten auf, die ihm alles anboten, wonach ihm der Sinn stand. Später schuf er sich ein ähnliches Netzwerk zu Drogenhändlern in Paris und London. Mit derartigen Reisen gab Kalmann sich nie ab. Er hatte ganz andere Pläne für die Zukunft.
Herbert markierte den großen Mann; er reiste nach Amerika, lebte in Las Vegas und war dort regelmäßiger Gast in den Spielhöllen. Da er unglaubliches Glück beim Spielen hatte, konnte er beträchtliche Gewinne einstreichen. Kalmann dagegen verwendete seinen Profit dazu, um im Wirtschaftsleben Fuß zu fassen. Herbert baute sich in der kläglichen Unterwelt von Reykjavík eine Art von Lehnswesen sehr isländischer Prägung auf. Angesichts der geringen Bevölkerungszahl war es natürlich nicht möglich, gewaltige Profite zu erzielen, aber dank Kalmanns Organisationstalent brachte Herbert mit Kaltschnäuzigkeit und Brutalität die Hälfte des Drogenhandels in Island unter seine Kontrolle. Mit der Zeit aber ging Kalmann mehr auf Abstand zu seinem Jugendfreund, und sie trafen sich höchstens noch einmal pro Jahr. In den letzten Jahren hatte er diesen Begegnungen mit Sorge entgegengesehen und sie eigentlich noch mehr reduzieren wollen.
Am liebsten hätte er überhaupt nichts mehr mit Herbert zu tun gehabt. Er war das schwächste Glied in Kalmanns Netzwerk und als Anhängsel aus der Vergangenheit umso gefährlicher, je mehr Macht und Einfluss Kalmann in Islands Finanzwelt gewann. Er hatte aber immer noch Verwendung für Herbert, denn er besorgte ihm die Mädchen. Mit all seinem Reichtum fiel es ihm zwar alles andere als schwer, Frauen kennenzulernen, aber er hatte eben dieses Faible für ganz junge Mädchen, um die sich niemand kümmerte, und die kannte Herbert besser als jeder andere. Kalmann wusste, dass er mit dem Feuer spielte, aber das erhöhte die Spannung. In seiner Übersättigung hatte er bislang Stimulierung in Herberts Schattenwelt gefunden, aber ihm war völlig klar, dass das auf die eine oder andere Weise zu Ende gebracht werden musste, und zwar bald.
»Kalmann!«
Von Kalmann, der tief in seine Gedanken versunken war, kam keine Antwort.
»Kalmann«, rief einer aus der Runde. Alle sahen ihn an, und er lächelte, entschuldigte sich mit Hinweis auf seinen Jetlag und übernahm
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