Todesrosen
nicht lange ausgehalten, sondern hat lieber Gelegenheitsjobs angenommen. Janus ist ein guter Junge. Weshalb stellt ihr alle diese Fragen?«
»Wann hast du das letzte Mal von ihm gehört?«, wiederholte Sigurður Óli, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Es ist so ungefähr zwei Wochen her. Er wohnt da oben in Breiðholt, das wisst ihr sicher. Ich habe bei ihm angerufen und wollte ihn bitten, etwas für mich zu erledigen. Er ist immer sehr hilfsbereit.«
»Hat er dir gegenüber Birta erwähnt?«
»Er hat nie über Birta gesprochen, weshalb hätte er das auch tun sollen? Sie haben sich seit Jahren nicht gesehen, oder? Worum geht es eigentlich?«
»Das Mädchen, das tot auf dem Friedhof gefunden wurde, du hast doch davon gehört?«
Guðrún nickte.
»Das war Birta. Wir haben Grund zu der Annahme, dass sie ermordet wurde.«
»War Birta das Mädchen auf dem Friedhof? Um Gottes willen! War sie nicht schlimm zugerichtet, wurde das nicht in den Nachrichten gesagt? Ihr glaubt doch wohl nicht, dass mein Janus das getan hat, das ist völlig ausgeschlossen. Mein Janus würde niemandem etwas antun können, und schon gar nicht Birta, das ist völlig ausgeschlossen. Sie waren befreundet. Das Mädchen hat ihm das Leben gerettet! Ihr dürft so etwas nicht von meinem Janus glauben. Das dürft ihr nicht!«
»Janus steht nicht im Verdacht, jemandem etwas angetan zu haben, geschweige denn einen Mord begangen zu haben«, erklärte Erlendur in beruhigendem Ton. »Wir möchten uns nur gern mit ihm unterhalten, vielleicht hat er ja etwas über sie gewusst oder über diejenigen, mit denen sie vor ihrem Tod verkehrte. Mehr ist es nicht. Würdest du ihm das ausrichten, wenn du von ihm hörst? Wenn er sich meldet, sag ihm bitte, dass wir gern mit ihm sprechen würden und dass es nicht darum geht, dass er unter Mordverdacht steht.«
»Wir hätten niemals in diese elende Stadt ziehen sollen«, sagte Guðrún plötzlich und zündete sich mit zitternden Händen die nächste Zigarette an. »Ich hätte niemals mit Janus hierherkommen dürfen. Hätte mich nie von diesem verdammten Mistkerl dazu verleiten lassen sollen. Er war es, der nach Reykjavík wollte, mein Mann. Er ist Seemann. Janus hat sich in der Stadt nie wohlgefühlt.«
»Weißt du, wo er im Augenblick sein könnte? Wo hat er sich häufig aufgehalten? Hatte er Freunde, bei denen er unterkommen könnte?«
»Nein. Janus hat nicht viele Freunde. Er ist Einzelgänger. So war er nicht immer, aber so ist er geworden. Ich habe keine Ahnung, wo er hingeht, wenn er nicht zu Hause ist«, sagte Guðrún.
Sigurður Óli war für den Abend mit Bergþóra bei ihr zu Hause verabredet. Erlendur brachte ihn zunächst zu seiner Wohnung, wo er duschte, sich eine Jeans und das dunkelgrüne Polohemd mit dem kleinen Krokodil anzog. Erlendur hätte nie begriffen, weshalb so ein Detail bei einem Kleidungsstück von Bedeutung war.
Bergþóra nahm ihn an der Tür in Empfang. Sie hatten seit seiner Abreise in die Westfjorde mehrfach miteinander telefoniert, und er hatte sie in groben Zügen über den Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten. Bergþóra wusste jetzt den Namen des Mädchens, das sie auf dem Friedhof gefunden hatte, und sie war sehr neugierig, mehr über ihr Schicksal zu erfahren. Sigurður Óli versuchte, nicht allzu viel preiszugeben, denn er wusste, dass Erlendur fuchsteufelswild werden würde, falls er erfuhr, dass sein Kollege mit Leuten, die es wenig oder gar nichts anging, über interne Dinge plauderte.
Sie setzten sich an den Tisch in der Küche. Bergþóra hatte ein einfaches Pastagericht zubereitet, mit grünen, kernlosen Oliven, die Sigurður Óli besonders gern mochte.
»Ich muss oft daran denken«, sagte sie, »wie hilflos das Mädchen da in dem Blumenmeer auf Jón Sigurðssons Grab wirkte. Sie war so dünn und leichenblass.«
»Sie hat ein entsetzliches Leben gelebt. Sie war heroinsüchtig und hatte Aids. Entweder hat sie sich als Prostituierte infiziert oder durch eine Spritze. Das Erstaunliche ist bloß, dass wir nirgendwo im sozialen Netzwerk etwas über sie finden können. Es hat ganz den Anschein, als sei sie nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten und habe sich nie in irgendwelchen Auffangstellen oder Therapiecentern blicken lassen. Das ist ziemlich ungewöhnlich, denn solche Mädchen landen doch nahezu ausnahmslos irgendwann einmal in den Maschen dieses Netzes, und mag der Grund dafür noch so unbedeutend sein.«
»Wisst ihr, wer sie da auf den Friedhof
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