Todesschrei
vergangenen Herbst hatten sich noch alle fünfzehn Teilnehmer ihres Seminars »Waffen und Kriegsführung« begeistert freiwillig gemeldet, im Albright Museum of History, wo sie angestellt war, mitzuarbeiten. Nun waren nur noch diese vier treuen Helfer geblieben. Seit Monaten waren sie jeden Sonntag hergekommen und hatten ihre Freizeit geopfert. Dass sie damit das Klassenziel erreichten, stand außer Frage, aber noch wichtiger war, dass sie all die mittelalterlichen Schätze berühren durften, die ihre Kommilitonen nur durch Glas bewundern konnten. Sophie verstand die Faszination nur allzu gut. Sie wusste auch, dass das Gefühl, ein Schwert aus dem fünfzehnten Jahrhundert in einem nüchternen Museum in der Hand zu halten, nicht zu vergleichen war mit dem Moment, in dem man dieses Schwert selbst ausgrub, behutsam die Erde abbürstete und einen Schatz freilegte, den fünfhundert Jahre niemand zu Gesicht bekommen hatte. Sechs Monate lang hatte sie als Archäologin in Südfrankreich nur für diesen aufregenden Moment gelebt und sich jeden Morgen beim Aufwachen gefragt, was für Kostbarkeiten sie an diesem Tag vielleicht heben würden. Inzwischen konnte sie als Kuratorin des Albright Museum nur noch berühren, was andere ans Tageslicht geholt hatten. Im Augenblick musste sie sich damit zufriedengeben.
So schwer es ihr gefallen war, die französische Ausgrabungsstelle zu verlassen, so wusste sie doch jedes Mal, wenn sie am Bett ihrer Großmutter im Pflegeheim saß, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es waren Momente wie dieser, in denen sie den Stolz in den Mienen ihrer Studenten sah, die die Entscheidung leichter zu tragen machten. Und auch Sophie war stolz auf das, was sie erreicht hatten. Der neue Große Saal, der geräumig genug war, Gruppen von dreißig Besuchern aufzunehmen, war wirklich spektakulär. An der gegenüberliegenden Seite standen drei komplette Rüstungen in Habachtstellung unter einem Arrangement von hundert Schwertern, die in einem Gittermuster aufgehängt worden waren. Kriegsbanner hingen an der linken Wand, an der rechten der Houarneau-Wandteppich, ein Juwel der Sammlung, die Theodore Albright I. während seiner glanzvollen archäologischen Karriere angehäuft hatte. Sophie stellte sich vor den Wandteppich und genoss den Anblick. Der Houarneau-Teppich aus dem zwölften Jahrhundert raubte ihr jedes Mal aufs Neue den Atem. »Wow«, murmelte sie.
»Wow?« Bruce schüttelte grinsend den Kopf. »Wirklich, Dr. J, Sie sollten sich etwas Besseres als >Wow< einfallen lassen. Sie können doch aus zwölf Sprachen auswählen.« »Nur aus zehn«, korrigierte sie, und er verdrehte die Augen. Für Sophie war das Sprachenstudium immer ein praktisches Vergnügen gewesen. Die Kenntnis alter Sprachen erleichterte ihr die Forschung, aber sie liebte vor allem den so ganz anderen Rhythmus und die Nuancierung der Worte. Seitdem sie zurückgekehrt war, hatte sie wenig Gelegenheit gehabt, ihr Können anzubringen, und es fehlte ihr. Und so ließ sie sich nun bei der Betrachtung des Teppichs dazu verführen.
» C'est incroyable. «
Das Französische erklang wie eine vertraute Melodie in ihrem Kopf, und das war nur natürlich, denn mit Ausnahme einiger weniger Besuche hier in Philadelphia, hatte sie fünfzehn Jahre in Frankreich verbracht. Auf die anderen Sprachen musste sie sich ein wenig mehr konzentrieren, aber sie fielen ihr trotzdem nicht schwer. Griechisch, Deutsch, Russisch, ... sie pflückte die Worte aus ihrem Geist wie Blumen von einem Beet.
»Katapliktikos. Ist ja irre! O moy bog.«
Marta zog eine Braue hoch. »Was übersetzt heißt?« Sophies Lippen zuckten. »Wow ... im Wesentlichen.« Sie blickte sich erneut zufrieden um. »Das wird der Hit bei unseren Führungen werden.« Ihr Lächeln verblasste. Der Gedanke an Führungen, vor allem an Museumsführer reichte aus, um ihr Vergnügen zu dämpfen. John wendete seinen Rollstuhl, so dass er zu den Schwertern hinaufsehen konnte. »Aber Sie haben es enorm schnell zustande gebracht.«
Sie schob den unangenehmen Gedanken an Führungen beiseite. »Was ich Bruce' Computersimulation zu verdanken habe. Er hat mir genau gezeigt, wo die Befestigungen angebracht werden müssen, und dann war alles ganz einfach. Es sieht wirklich authentisch aus.« Sie lächelte Bruce anerkennend zu. »Danke.«
Bruce strahlte. »Und warum die Paneele? Ich dachte, Sie wollten die Wände streichen.«
Wieder verblasste das Lächeln. »Da bin ich überstimmt worden. Ted Albright
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